Der Durchbruch ist nicht gelungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Kurt Beck haben sich im Kanzleramt getroffen, ohne den Streit um die Gesundheitsreform beenden zu können. Nach dem Treffen beteuerten zwar beide ihren Einigungswillen, wollten oder konnten aber keine konkreten Lösungsvorschläge untebreiten. Nun sollen Experten den Großkoalitionären einen Ausweg aus der Krise weisen; das Geschachere um die Details geht in eine neue Runde.
Nach Informationen von stern.de erwägt die Kanzlerin dabei, das Fondsmodell zur Finanzierung des Gesundheitssystems komplett zu kippen. Dies wurde jedoch von SPD-Chef Beck und von Vize-Regierungssprecher Thomas Steg dementiert. In den vergangenen Tagen war der Streit um die Gesundheitsreform zu einer handfesten Koalitionskrise eskaliert. Dabei sah sich Merkel nicht nur der Kritik der SPD ausgesetzt, sondern vor allem auch der Kritik vieler Ministerpräsidenten der Union.
Experten sollen strittige Probleme lösen
Bei den ungelösten Problemen handelt es vor allem um die privaten Krankenversicherungen, den Risikostrukturausgleich und die Struktur des umstrittenen Gesundheitsfonds, so Merkel. Es sei nun an der Expertengruppe, die bisher aus acht Vertretern beider Parteien aus Bund und Ländern besteht, diese Probleme zu lösen. Beide Politiker versuchten, den Zeitdruck aus der Debatte zu nehmen. "Sorgfalt geht vor Schnelligkeit", sagte Merkel. "Es geht um Millionen von Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass alles, was wir machen, auch hält und durchgeführt werden kann," sagte sie. "Es kommt nicht auf den Tag an. Es muss ordentlich und gemeinsam verabschiedet werden." Auch Beck drang auf eine Entschleunigung: "Wir wollen diese Reform zügig und ohne Hast umsetzen", sagte der SPD-Chef.
Kompromiss bei Überforderungsklausel angestrebt
Vor allem bei der umstrittenen Überforderungsklausel signalisierten Merkel und Beck Einigungsbereitschaft - ohne jedoch erklären zu können, wie eine Einigung konkret aussehen könnte. "Es ist wichtig, dass diese Überforderungsklausel praktikabel ist und mit den Zielen der Gesundheitsreform übereinstimmt", sagte die CDU-Chefin. Jede Seite, Union und SPD, sagte die Kanzlerin, werde deshalb einen Sachverständigen benennen, um zu einer Lösung des Problems zu gelangen. Zwar sei die Überforderungsklauses für die SPD eine "entscheidende Größe des Eckpunktepapiers," sagte Beck. Aber in der Umsetzung müsste die Regelung praktikabel sein. Was "Praktikabilität" aber genau bedeutet, ließ der SPD-Chef offen.
Widerstand der Ministerpräsidenten der Union
Bislang besagt die Überforderungs-Klausel, dass der Zusatzbetrag, den Krankenkassen direkt von den Versicherten erheben dürfen, die Grenze von ein Prozent des Haushaltseinkommens nicht überschreiten darf. Kassen können den Zusatzbetrag grundsätzlich dann erheben, wenn sie mit der Pauschale nicht auskommen, die ihnen aus dem Gesundheitsfonds für jeden Versicherten zugewiesen wird. Die SPD will mit der Klausel die Belastung von Geringverdienern deckeln, viele Unions-Ministerpräsidenten laufen Sturm gegen die Regelung. Nun haben sich Merkel und Beck zumindest darauf geeinigt, sich zu einigen - wenn auch weiter unklar bleibt, in welcher Form.
Merkel erwägt Verzicht auf umstrittenen Fonds
Nach Informationen von stern.de erwägt Merkel, auf den umstrittenen Gesundheitsfonds, das Kernstück der Reform, zu verzichten. Dies erfuhr stern.de aus Koalitionskreisen. Dies würde einem Befreiungsschlag der Kanzlerin gleichkommen. Trotz der Dementis von Steg und Beck gibt es Befürworter dieser Lösung. So steht Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer einem möglichen Verzicht auf den Fonds positiv gegenüber. "Auch ohne Fondslösung wäre eine Gesundheitsreform sinnvoll und denkbar. Es ist ja nicht so, als ob alles nur von der Organisationsform der Geld-Sammelei abhängt", sagte Böhmer der "Mitteldeutschen Zeitung." Zunächst könnten die nicht strittigen Teile der Reform zum Gesetz gemacht werden. "Beim Rest kann man dann mal gucken, wenn die Lage das hergibt", sagte Böhmer. Auch der SPD-Experte Lauterbach hatte sich kritisch zur Fondslösung geäußert.
Bütikofer spricht von "Chaos-Konzept"
Kritik an dem Auftritt der Parteichefs äußerte die Opposition. "Diese verkorkste Gesundheitsreform ist nicht zu retten. Die Koalition sollte zur Vernunft kommen und ihr Chaos-Konzept beerdigen", sagte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Die FDP forderte einen neuen Anlauf zu einer Gesundheitsreform. Die bisherigen Pläne gehörten eingestampft, sagte Generalsekretär Dirk Niebel. Er kritisierte, dass es keinen Neustart, sondern nur einen Aufschub durch Neuverhandeln gebe. Union und FDP gehe es bei ihrem "Gemurkse" nicht um eine tragfähige Reform, sondern darum, sich durchzusetzen. "Die große Koalition krankt daran, dass ein Partner den anderen in die Knie zwingen will", sagte Niebel. "Es geht nur noch um den geeigneten Zeitpunkt für den entscheidenden Stoß." Im Bundestag beantragte die FDP für die kommende Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zur Gesundheitsreform.