Glosse Lieber Dr. Stoiber, lieber Edmund...

Edmund Stoiber wird 65, und zuverlässige Quellen haben stern.de das ganz private Glückwunschschreiben der Kanzlerin zugespielt. Es ist das intime, historische Zeugnis einer ganz besonderen politischen Freundschaft.

Es ist spät, lieber Edmund. Professor Sauer schläft schon. Ich blicke auf die Spree, aufs Pergamon-Museum, sinniere ein wenig über Dich, über uns, und vor allem darüber, was ich Dir wünschen soll zum 65.: Natürlich alles Gute, lieber Edmund. Dir, Deiner Muschi, Deiner Familie und Deinem wunderbaren Bayern-Land. Das habe ich auch dem Michi Glos gesagt. Der darf heute sogar den Bundestag schwänzen. Nur, damit er mit Dir in München feiern kann. Nein, wirklich, lieber Edmund: alles, alles Gute.

Die Akte und die Nackte

Und dennoch. Bei Floskeln möchte ich es heute, an diesem besonderen Tag, nicht bewenden lassen. Unsere Freundschaft geht tiefer. Das weißt Du, das weiß ich. Sicher, wir kennen uns noch nicht lange. Deine erste wilde Zeit, vor der Einheit, da war ich noch nicht dabei. Du warst der Kettenhund von Franz Josef. Dein Ruf eilte Dir voraus wie ein Donnerhall. Schon damals. Du warst Chef der Abteilung Attacke. In Bayern. Für Bayern. CSU-Generalsekretär! "Das blonde Fallbeil" nannten sie Dich. Die Muschi, schallend wird sie gelacht haben in Eurem schönen Heim in Wolfratshausen! Fallbeil, der Edmund! Vielleicht hat sie auch über die Sprüche des Chefs gelacht, stolz sogar: "Wenn man den Stoiber eine Nacht lang mit einer Nackten und einer Akte zusammensperrt", soll Franz Josef gesagt haben, "dann hat er am nächsten Tag die Akte durchgearbeitet". Mensch, Edmund, war das komisch, waren das Zeiten!

Die Brezeln waren prima, die Stimmung auch

Es ist Nacht, Edmund. Ich habe mir eine gute Flasche Rotwein aufgemacht. Irgendwie, verzeih, erwischt mit beim Verfassen dieser Zeilen der Blues, wenn ich an uns denke, an Dich und mich. Sicher, irgendwann hattest Du Dir Deine Hörner abgestoßen, bist reifer geworden, ruhiger, wurdest ein geschätzter, erfolgreicher, gefürchteter Bayern-König, CSU-Chef. Respekt! Aber, das muss Dir jetzt einmal sagen, ein Fallbeil bist Du geblieben. Nein, bestreite das jetzt bitte nicht, spar Dir das Stirnrunzeln: Vieles, lieber Edmund, hat sehr weh getan. Nicht das Frühstück bei Dir daheim. Das war noch in Ordnung. Die Brezeln waren prima, die Stimmung auch. Du hattest Deine Chance fürs Kanzleramt verdient. Wie seinerzeit Franz Josef. Ich habe Dir den Vortritt gelassen, war loyal, habe Dich gestützt - und Du hast es trotzdem nicht geschafft. Verloren! Zu dumm. In der Politik ist es wie in der Physik: Wenn Experimente schief gehen, muss man es mit einer neuen Anordnung versuchen. So ist das.

Das hat echt weh getan, lieber Edmund

Dieses Gesetz hast Du nie akzeptiert. Die barocke, irrationale bayerische Selbstverliebtheit in Dir war dann doch stärker als der, sorry Muschi!, knöcherne Jurist. Lieber Edmund, im Prinzip, fürchte ich, hast Du mich nie akzeptiert. Als Frau. Als Chefin. Als Kandidatin. Und schon gar nicht als Kanzlerin. Du brauchst jetzt nicht aufzubrausen. War doch so.

Nach Deiner Niederlage gegen den elendigen Schröder war Dir Bayern zwar nicht genug, aber in Berlin wolltest Du keinesfalls die zweite Geige spielen. Erinnere Dich doch: Ich habe Dir rote Teppiche ausgelegt, Dich gehegt und gepflegt. Und wie hast Du reagiert? Mit ewigen Querschüssen, mit kaum verhohlener, beißender Kritik an mir, mit Deiner sinnlosen Verbalattacke gegen die Ossis. Kurz vor der Wahl! Mann, das hat echt weh getan!

Es hört nicht auf

Und es hört nicht auf. Irgendwie hört Ihr Bayern nie auf. Immer dieses: Huhu, wir machen nicht mit! Wir wollen mehr! Wir wollen weniger! Wir wollen was anderes! Wir sind was Besonderes! Ich hatte ja eigentlich gedacht, die Berlin-München-Kiste nach der Wahl hätte Dir den Garaus gemacht.

Ich dachte, von nun an würdest Du reumütig über bayerische Dörfer tingeln, Volksfeste eröffnen, rot-weiße Bänder beim Baubeginn von Landstraßen zerschneiden oder - haha, Lederhosen und Laptop - High-Tech-Waschmaschinen-Halbleiter-Chip-Zentren im bayerischen Wald eröffnen. In Berlin, da war ich mir sicher, würde ich Dich nur noch in Sack und Asche sehen, Dich und Deinen Söder, letzterer mit einem Maulkorb vor dem zarten Gesicht. Wochenlang habe ich mir jeden Morgen Deine Transrapid-Rede angehört. "München, Zug, London" - Haha. Das tut gut. Das war grandios. Und wie Du das mit den Blumen gemacht hast. Hinrichten! Fantastisch. Das waren Zeiten.

Du Napoleon aus Wolfratshausen

Aber, lieber Edmund, ich habe mich schon wieder in Dir getäuscht. Du bist zäher, als selbst ich das je vermutet hätte. Sicher, Du warst ganz unten. Und Du hast Dich in Demut geübt. Ein paar Monate lang. Bist über die Dörfer getingelt und hast um Vergebung gefleht. Und für Deine Wiederwahl. Für Deine Attacken auf Berlin. Für Deine Attacken auf mich. Du wolltest es noch einmal wissen. Und, da zolle ich Dir Respekt, Du Napoleon aus Wolfratshausen, Du hast es geschafft. Die Menschen scheinen Dir Deine historischen Berlin-Worthülsen, Deinen schrillen Ehrgeiz, nicht krumm zu nehmen. Faszinierend ist das.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Und jetzt bist Du also wieder da. Erst hast Du - "Dr. No" - zu allem Nein gesagt, was wir hier in Berlin machen wollten. Dann, bei der nächtlichen Gesundheits-Sause mit dem Beck und seinen Genossen, warst Du zwar dabei, behauptest aber seitdem, alles wäre ganz anders gemeint gewesen, als wir es aufgeschrieben haben. Jetzt fallen sie über mich her.

Du machst mich fertig

Edmund, Du machst mich fertig. Das weißt Du. Das wissen alle. Der Koch. Der Wulff. Der Rüttgers. Edmund, Du bist deren Büttel, deren willfähriger Gehilfe: Ohne jede Zukunft im Bund, dafür ein ewiger Störenfried. Warum machst Du das? Warum tust Du mir so weh - von wegen Scheitern der Regierung und so?

Ich weiß. Du wirst mir keine Antwort geben. Nicht jetzt. Wahrscheinlich stimmt es nicht einmal, dass Du im Bund keine Zukunft hast. Gewinnst Du wirklich noch einmal die Landtagswahl, heißt es, müsse man Dir einen angemessenen Altersjob besorgen. Damit Du die Staatskanzlei räumst. Für den Joachim Herrmann. Man könnte Dich zum Bundespräsidenten machen, 2009, statt Köhler, wird fantasiert. Dann wärst Du wieder da. In Berlin. Gar nicht weit vom Kanzleramt. Wenn die Koalition bis dahin hält, könntest Du mich dann im Wahlkampf unterstützen - als Staatsoberhaupt.

Das wünsche ich mir nicht, lieber Edmund. Das wünsche ich Dir nicht. Auch nicht zu Deinem 65. Geburtstag. Ansonsten wünsche ich Dir aber alles Gute, vor allem Gesundheit und Glück. Vielleicht, vielleicht können wir ja eines Tages über alles reden. Offen. Und ehrlich. Bei einer Brezel und einem Bier. Vielleicht schon bei Deinem 70.

Es herzt Dich,

Deine Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Abgeschrieben von: Florian Güßgen