Die Zahlen sind eindeutig, und, nein, sie lügen nicht. Karl-Theodor zu Guttenberg ist jetzt ein Volksminister, getragen von Umfragen und, nachlaufend, von den ach-so-guten politischen Freunden, inklusive der Kanzlerin und dem scheinheilig-nibelungentreuen CSU-Chef Horst Seehofer. Die Forsa-Umfrage des stern illustriert die Unterstützung für Guttenberg eindeutig, das Volksorgan "Bild" hat für heute auch noch einmal zur Direktwahl gerufen: "Deutschland stimmt ab". Für 14 Cent aus dem deutschen Festnetz sind Sie dabei. Na bravo.
Kontrolle hat KTG nicht mehr nötig
In der Affäre Guttenberg tut sich eine tiefe Kluft auf zwischen Minister, Kanzlerin, Volksmeinung und den bisher tragenden moralischen, ethischen und formalen Institutionen dieser Demokratie. Guttenbergs, aber auch Merkels, geradezu höhnisches Verhalten gegenüber dem Prinzip der akademischen Ehrlichkeit, die öffentliche Entwertung des Titels, die de facto Adelung des Täuschens. Das alles steht für eine Herabwürdigung demokratisch-argumentativer Verfahren an sich und damit auch für eine Infragestellung demokratischer Institutionen. Guttenberg und Merkel haben in Wort und Tat jenen Recht gegeben, die diese oft langwierigen, komplizierten Verfahren in Bausch und Bogen verteufeln. Das wird nicht folgenlos bleiben, auch nicht für jene Institutionen, die auch die Aufgabe haben, die Politik zu kontrollieren: die Medien. "Die politische Kultur in Deutschland hat eine neue Entwicklungsstufe genommen", schreibt Michael Spreng, Ex-Chef der "Bild am Sonntag", Ex-Stoiber-Berater, in seinem Blog Sprengsatz. "Die Entmachtung der - je nach Standort - öffentlichen oder veröffentlichten Meinung schreitet voran." Recht hat er. Dazu passt, wie Guttenberg am vergangenen Freitag die Berliner Hauptstadtpresse düpiert hat. Er schürt das Misstrauen gegen Medien, denen nicht ernst zu nehmender Kampagnen-Journalismus vorgeworfen wird. Kontrolle? Der Populist Guttenberg hat das alles nicht mehr nötig. Er ist jetzt über Umfragen legitimiert. Er stellt sich gegen das Establishment und seine Institutionen. Er wendet sich direkt ans Volk, das ihm zujubelt. Dazu passt auch, dass ihm sein mutmaßlich entscheidender Befreiungsschlag mit dem Auftritt vor Claqueuren in Kelkheim gelang.
Die Affäre hat auch ihr Gutes
Die Guttenberg-Affäre hat dabei auch ihr Gutes. Sie zwingt jene, die sein Verhalten und dessen Folgen anprangern, zur noch präziseren Argumentation und zur noch genaueren Bestimmung der eigenen Rolle. Denn schließlich nehmen die Guttenberg-Kritiker, nehmen wir - die Opposition, viele Wissenschaftler, viele Medien, wir "Lohnschreiber" - für uns in Anspruch, dass wir etwas sehen, was die Mehrheit der Bevölkerung offenbar nicht sieht, setzen uns dem Vorwurf der besserwisserischen Arroganz aus. Und da gibt es durchaus Punkte, die noch besser ausbuchstabiert werden müssen: Wieso ist etwa Guttenbergs akademischer Betrug etwas anderes als etwa der halböffentliche Fremdgang Horst Seehofers? In beiden Fällen ist eine öffentliche Institution von einem Politiker verlacht worden, in einem Fall war's der Doktortitel, im anderen die Ehe. Im einen, bei Guttenberg, wird jetzt ein großes Bohei gemacht, im anderen, bei Seehofer, argumentieren gerade die Staatsmoralisten, das sei doch reine Privatangelegenheit. Es gibt einen massiven Unterschied, aber der muss erklärt werden. Und auch wir, die Medien, müssen uns selbst vergewissern, weshalb es falsch ist, die kritische Haltung trotz einer überwältigenden öffentlichen Gegenmeinung aufzugeben. Die Antwort liegt auf der Hand: Es kann nicht sein, dass wir unser Fähnchen in den Wind hängen, auch nicht in den Wind unserer Leser. Unser Job ist die Aufklärung. Klingt hochtrabend, ist aber nicht selbstverständlich, wenn man sich heute die Seite eins der "Bild"-Zeitung betrachtet.
Ist Guttenberg Deutschlands Sarah Palin?
Die Selbstvergewisserung ist umso wichtiger, als dass Guttenberg das hiesige politische System ähnlich herausfordern könnte wie Sarah Palin es in den USA tut. In einem sehr lesenswerten Eintrag in seinem Verfassungsblog hat der Jurist und freie Journalist Max Steinbeis diese Parallele zwischen dem adeligen Franken und der ehemaligen US-Vizepräsidentschaftskandidatin aus Alaska gezogen. Sein Hauptargument: Guttenberg reite, wie Palin, auf einer Welle anti-elitärer Ressentiments. Seine adelige Herkunft sei dabei kein Problem: "Für eine erfolgreiche Anti-Eliten-Politik war eine elitäre Herkunft noch nie ein Hindernis", schreibt Steinbeis "Dafür gibt's von Julius Cäsar bis George W. Bush genügend Beispiele." Der Vergleich mit Palin könnte treffender nicht sein: Palin inszeniert sich seit Jahren als Anwältin des gesunden Menschenverstandes, der keineswegs von sachlichen Gegenargumenten irritiert werden möchte, als bodenständige "Hockey Mum", als Wahrheits-Verkünderin im Angesicht eines vermeintlich durch und durch verlogenen politischen Systems. Kritik interpretiert Palin stets als Kampagne intriganter Gegner. Sie macht sie stärker, nicht schwächer, wie auch Steinbeis schreibt. So hat sich Palin zur Galionsfigur der politischen Rechten in den US aufgeschwungen, zur Heldin der "Tea Party Bewegung."
Ein anderes Vorbild wäre Margot Käßmann
Es gibt sicher einige signifikante Unterschiede zwischen den Gegebenheiten in den USA und in Deutschland. Die hiesige Gesellschaft ist politisch längst nicht so tief gespalten, so polarisiert wie die jenseits des Atlantiks. Die Mitte ist hierzulande viel stärker. Und Guttenberg kommt nicht von außen, wird nicht, wie Palin, quasi mit einem Hubschrauber in der Politik abgesetzt, sondern hat die politische Ochsentour über die Partei, die CSU, durchlaufen. Er kommt aus dem Establishment. Aber, und genau das macht den Vergleich so interessant, der Verteidigungsminister steht jetzt an einer Weggabelung, er wird, ob er es will oder nicht, eine politische Metamorphose durchlaufen: Bleibt er im Amt, lässt er sich weiter von der Welle der populären Zustimmung tragen, verhöhnt er weiter Institutionen und Werte, wird er möglicherweise erst jetzt zum politisch erfolgreichen Spalter, zum Kandidaten des Anti-Establishments. Will er genau das nicht, muss er eigentlich zwingend zurücktreten. Das würde zwar seine Karriere vorerst stoppen, aber die Werte schützen, für die er - und auch dieses Land - bisher stehen. Auch dafür gibt es übrigens ein bislang viel zu wenig beachtetes Vorbild, wenn auch nicht aus der Politik: die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann. Die Bischöfin war vor einem Jahr angetrunken am Steuer erwischt worden und gab dann mit einer beeindruckenden Erklärung ihr Amt auf. Vor fast exakt einem Jahr, am 24. Februar 2010, trat sie zurück, weil sie wusste, dass ihre Glaubwürdigkeit im Amt massiv beschädigt war. Auch sie hätte nach Volkes Meinung nicht zurücktreten müssen - zog aber andere Konsequenzen als Guttenberg.
Der hat sich nun eher für eine Palin-Variante seiner politischen Zukunft entschieden und stellt sich so am Mittwoch dem Bundestag. Das erscheint als gutes Signal. Und es ist Teil seiner Strategie so zu tun, als würde er das hiesige politische System noch ernst nehmen.