Haushaltsdebatte Wie Merkel Weihnachtsmänner saniert

Die Kanzlerin inszeniert sich derzeit als eisern-ehrliche Lady, die harte Wahrheiten verkündet und Reformen durchsetzt. Im Bundestag hat Merkel heute ihre Politik verteidigt - und dabei erklärt, wie sie zu Weihnachtsmännern steht.

Die Sache mit dem Weihnachtsmann hat die Kanzlerin ganz leise gesagt, am Ende des Satzes, fast verschluckt. Den Anfang, den hatte Angela Merkel den Abgeordneten noch unerschrocken laut entgegen geschleudert: "Wer aber glaubt,", hatte sie gedonnert, "dass man Strukturveränderungen vornehmen kann, ohne neue Strukturelemente einzuführen, der glaubt an irgendetwas, was wir eigentlich alle abgelegt haben." Was wir ihrer Ansicht nach alle abgelegt haben, fügte sie dann verhaltener hinzu. "Der glaubt an den Weihnachtsmann oder sowas."

Die ehrlich-eiserne Lady der Wahrheiten

Es ist Sommer. Draußen regiert der bunte Fußball. Drinnen, in Kanzleramt und Reichstag, regiert Angela Merkel, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Deutschen den Glauben an den Weihnachtsmann auszutreiben - reformtechnisch gesprochen. Merkel, so die Botschaft, ist für die Wirklichkeit zuständig. Und deshalb inszeniert sich die Kanzlerin derzeit als eisern-ehrliche Lady, die harte Wahrheiten verkündet und noch härtere Reformen unerbittlich durchsetzt. Zum Wohle des Landes, versteht sich.

Auch an diesem Mittwoch ist das so. Der Bundestag diskutiert über das Haushaltsgesetz für das Jahr 2006. Diese Generaldebatte ist für die Regierung traditionell Anlass, Bilanz zu ziehen, für die Opposition Anlass, die Regierung wegen dieser Bilanz zu gängeln.

"Sanieren, reformieren, investieren"

Neues verkündet die Kanzlerin in der ziegelroten Jacke nicht, aber sie verteidigt offensiv ihre Reformen - die Föderalismusreform, die Unternehmensteuerreform und, ganz wichtig, die Gesundheitsreform - und bemüht sich, deren nüchternen Geist zu erklären. Sie spricht demonstrativ Tacheles. So wie gestern, bei den Unternehmern, als sie Deutschland als Sanierungsfall bezeichnete. Dies sei ein hartes Wort, aber es treffe die Situation, sagte Merkel im Bundestag. "Das ist nicht die ganze Realität Deutschlands," sagt sie, aber sie könne sich vor der Wirklichkeit der Kassenlage nicht drücken. Und Deutschland schleppe nun mal ein strukturelles Defizit von 60 Milliarden Euro mit sich herum. Und deshalb könne es für ihre Regierungsarbeit nur ein Motto geben: "Sanieren, reformieren, investieren." Dass das Parlament bei der Verkündung dieses Mottos nur schlecht gefüllt ist, scheint die Kanzlerin wenig zu stören.

Merkel verteidigt Fondsmodell

Ihr wäre es auch lieber, sagt Merkel, Wohltaten zu verteilen. Das sei die einfachere Politik. Aber das ginge nicht, denn sie würde so Probleme nicht lösen, sondern die Zukunft belasten. Deshalb müsse sie eben "begrenzt" Steuern erhöhen, den Sparerfreibetrag ebenso kappen wie die Pendlerpauschale oder die Eigenheimzulage. Das alles tut weh, so der Tenor, aber es geht eben nicht anders. Etwas detailverliebt hakt Merkel Grundzüge der Unternehmensteuerreform ab, lobt die Föderalismusreform, die Nachbesserungen am Hartz-IV-Gesetz und verteidigt die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Die Ausgangslage für Reformen sei derzeit günstiger als in den vorhergehenden Jahren, sagt die Kanzlerin.

Profilieren aber will sich Merkel an diesem Vormittag vor allem mit der Gesundheitsreform. Der umstrittene Topf, in den die Versicherten ihre Beiträge einzahlen und aus dem die gesetzlichen Kassen ihr Geld erhalten sollen, dieser Fonds, so Merkel, werde vor allem dafür sorgen, dass man Einnahmen und Ausgaben im Gesundheitssystem besser werde kontrollieren können. Dies sei ein dringend notwendiger Schritt hin zu mehr Effizienz. Das ja, aber auch wenn dieser Fonds Fortschritte mit sich bringen werde, über eines dürfe man sich nicht täuschen: "Auch bei noch mehr Struktureffizienz, bei noch mehr Transparenz, wird dieses System tendenziell nicht billiger, wenn wir solidarische Gesundheitsversorger haben wollen, sondern es wird teurer werden", sagt die ehrlich-eiserne Lady - "Auch das müssen wir den Menschen sagen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kanzlerin verteidigt System der privaten Versicherer

In ihrer Rede spricht sich die Kanzlerin indirekt dafür aus, dass auch die privaten Versicherer in diesen Fonds werden einzahlen müssen - allerdings ohne, dass das "funktionierende, wettbewerbsfähige System" der Privaten zerschlagen werde. Kritikern, die einen Zuwachs an Bürokratie befürworten, hält sie entgegen, dass ein Fonds keinen bürokratischen Mehraufwand mit sich bringen werde. Im Gegenteil. "Wir werden zum Schluss noch aufpassen müssen, dass wir keine Beschwerden kriegen, dass Leute künftig etwas anderes tun müssen als Beiträge einzuziehen." Mit dieser Äußerung zielt Merkel auf Befürchtungen der gesetzlichen Kassen ab, dass sie Stellen verlieren könnten, weil sie künftig nicht mehr für das Einziehen der Beiträge verantwortlich sein dürften. Ziel der Gesundheitsreform sei in jedem Fall, so Merkel, den Anteil der Sozialabgaben am Bruttolohn unter 40 Prozent zu drücken.

"Zwei sozialdemokratische Parteien"

Die Opposition kann die vermeintlich eisern-ehrliche Lady kaum überzeugen. FDP-Chef Guido Westerwelle etwa nennt es eine "Unverschämtheit", die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent als "begrenzte Steuererhöhung" zu bezeichnen. Sein Stellvertreter Rainer Brüderle hatte zuvor die Debatte mit der Kritik eröffnet, Deutschland werde zurzeit "von zwei sozialdemokratischen Parteien regiert. Eine ist rot angestrichen, eine ist schwarz angestrichen, und beide haben das falsche Programm." Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, wirft Merkel einen unklaren außen- und innenpolitischen Kurs vor. Sie und ihre Vorgänger hätten aus Deutschland erst den Sanierungsfall gemacht, den die Kanzlerin jetzt öffentlich bedauere. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wirft der Bundesregierung Mut- und Ziellosigkeit vor. Die Politik der Regierung sei "kleinkariert" und voller Ungerechtigkeiten. Das gelte für das Elterngeld wie auch für das von der CDU in die Debatte gebrachte Familiensplitting. Es privilegiere "am Ende wieder die, die hohe Einkommen haben".

"Weihnachtsmänner", mag die Kanzlerin gedacht haben.

Mit Material von AP