Als Florian Illies, Jahrgang 1971, im Jahr 2000 in Buchform die "Generation Golf" ausrief, war ich, Jahrgang 1975, irritiert. Mit Golf hatte ich wenig am Hut, weder mit dem Auto noch dem Sport. Hätte Illies mich mehr angesprochen, wenn er "Generation Kohl" als Schlagzeile gewählt hätte? Immerhin musste ich 23 Jahre alt werden, bis ich bewusst einen anderen Menschen als Helmut Kohl im Kanzleramt wahrnahm, Gerhard Schröder.
Bei mir sind aus Kohls Ära gar nicht so sehr die Birne-Karikaturen, der Hass auf den "Spiegel" oder diese seltsamen Saumagen-Sausen hängen geblieben. Vor meinem inneren Auge erscheinen eher die (offensichtlich inszenierten) Harmoniebilder der Familie Kohl, ob am Urlaubssee oder beim Rehkitzfüttern. Sie waren normal für diese Zeit der Bonner oder sogar Oggersheimer Republik. Aber selbst in mir unerfahrenem Menschen regte sich schon damals ein Gefühl, dass da etwas nicht stimmen könnte. In den Jahren danach erlebten wir denn auch die Zerstörung der Kohl’schen Familienidylle – mit einer Frau, die sich wegen ihrer schweren Erkrankung das Leben nahm, mit zwei Söhnen, die dem Vater öffentlich Liebesentzug vorwarfen, wohl weil dieser die Parteifamilie so viel spannender fand als seine eigene.
Hinter großen Politikern stehen Menschen
Kai Diekmann, lange "Bild"-Chefredakteur, stand schon als Journalist Kohl zur Seite, später hat er ihn bis in den Tod begleitet. Diekmann ist Partei, daran lässt er keinen Zweifel – er hält die Kohl-Söhne für Blutsauger, die sich vom Vater aushalten ließen und denen es immer nur ums Geld ging. Und er steht fest an der Seite von Maike Kohl-Richter, der zweiten Ehefrau, die die Söhne niemals akzeptiert haben. Diekmann hat dem Drama im Hause Kohl ein ganzes Kapitel in seinem neuen Buch "Ich war BILD" gewidmet, das am 11. Mai erscheint. Wir drucken diesen Auszug, genauso wie einen Text unserer langjährigen Autorin Ulrike Posche, die für den stern das letzte Interview mit Helmut Kohl und Maike Kohl-Richter geführt hat. Und wir haben Helmut Kohls Sohn Walter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, der in Diekmanns Aufzeichnungen mit dem bemerkenswerten Satz zitiert wird, der Name Kohl sei wie "ein Judenstern". Walter Kohl sah sich nicht in der Lage, unsere Fragen bis zum Andruck dieser Ausgabe zu beantworten, attestiert Diekmanns Text aber, er beinhalte an verschiedenen Stellen falsche Tatsachenbehauptungen und sei insgesamt ehrabschneidend.
Warum wir dieses Sittengemälde einer deutschen Politikerfamilie zeichnen? Nicht aus Voyeurismus. Sondern weil es uns eine Mahnung sein könnte, dass auch hinter den größten Politikern Menschen stehen, Familien. Und dass es etwas mit denen macht, wenn Politik zum Vollzeitsport wird. Brächten wir alle dafür mehr Verständnis auf, müsste auch die Inszenierung von Familie nicht mehr so klebrig sein. Immerhin: Gerhard Schröder inszenierte vieles, aber nicht seine Familie. Angela Merkel sowieso nicht – und bei Olaf Scholz sind Fragen zu seinem Privatleben tabu. Ist das auch eine Lehre aus den Kohl-Jahren? Vielleicht schon.
Eine "Generation Habeck" würde nicht einmal Robert Habeck ausrufen, selbst wenn ihm Ehrgeiz keineswegs abzusprechen ist. Immerhin hat dieser Mann offen darüber gesprochen, wie die Grünen Volkspartei werden könnten – und dass Habeck im nächsten Wahlkampf Kanzlerkandidat seiner Partei werden will, ist ein offenes Geheimnis. Nun muss er aber erst den schwersten Glaubwürdigkeitskampf seiner Karriere bestehen. Was an Vetternwirtschaft in seinem Ministerium passierte, ist kein Watergate-Skandal. Es ist ganz normaler Filz. Aber das ist vielleicht noch schlimmer für Habeck, denn eine normale Partei wollten die Grünen ja nie werden. Und dann sind da noch Parteifreunde, die Habecks Schwierigkeiten hämisch beäugen. Denn auch bei den Grünen heißt die Steigerung von Todfeind: Parteifreund. Oder: Kanzlerkandidatur-Mitbewerber. Beziehungsweise: Kanzlerkandidatur-Mitbewerberin.