Jahrelang galt er als "Prinz Charles von Hessen", doch nun sitzt er doch auf dem Thron: Volker Bouffier ist am kommenden Mittwoch 100 Tage hessischer Ministerpräsident. Elf Jahre musste der heute 58-jährige CDU-Politiker warten, bis er aus dem Schatten seines Vorgängers und Parteifreundes Roland Koch treten konnte und Ende August zum Regierungschef gewählt wurde. Seitdem schüttelt er Hände, hört zu, bemüht sich um Bürgernähe - und grenzt sich damit von Koch ab, der auch innerhalb seiner Partei als eher kühler Denker galt, im Gegensatz zu Bouffier, dem "Mann fürs Herz".
Und der legte einen makellosen Start hin: Gewählt mit 66 von 66 Stimmen der schwarz-gelben Koalition im Landtag versprach er, vieles anders zu machen. Alle Stimmen aus der Koalition zu bekommen, das war Koch zuletzt nicht mehr gelungen. Leutselig kündigte Bouffier an, Ministerpräsident aller Hessen sein zu wollen, und bot auch der Opposition ein "neues Miteinander" und eine ebenso konstruktive wie faire Zusammenarbeit an. Schließlich lägen "gewaltige Aufgaben" vor dem Land. Unter anderem müsse es darum gehen, Ängste vor sozialem Abstieg zu nehmen. Jeder Einzelne sei dabei wichtig.
Doch nach fast 100 Tagen im Amt hat Bouffier noch nicht erkennen lassen, wie genau er die großen Aufgaben bewältigen will. Auch ein von ihm angekündigter Rettungsschirm für finanzschwache Kommunen blieb bislang im Ungefähren. Im Wiesbadener Parlament, das als besonders streitlustig gilt, ist zudem noch nichts von einem neuen Stil zu spüren. Ganz im Gegenteil: SPD, Grüne und Linke überzogen den Ministerpräsidenten in ihrer 100-Tage-Bilanz mit ätzender Kritik, und das schon Tage vor Ende der traditionellen Schonfrist.
SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte, Bouffier genüge sich darin, auf Empfängen oberflächliche Reden zu halten und ansonsten das Land durch eine rosa Brille zu betrachten. Inhaltlich habe er bisher nichts zustande gebracht. Auch die Grünen erklärten, Bouffier sei ideen- und konzeptlos, und das, obwohl er so lange darauf gewartet habe, an die Regierungsspitze zu rücken. Zudem werde er von Altlasten aus der Vergangenheit eingeholt.
Gemeint ist damit unter anderem die Führungskrise bei der hessischen Polizei, die seit Wochen die politische Debatte in Wiesbaden bestimmt. Bouffier war elf Jahre hessischer Innenminister und damit Leiter des zuständigen Ressorts, hier wittert die Opposition einen Anknüpfungspunkt. Doch der Ministerpräsident spricht von einigen wenigen bedauerlichen Einzelfällen und überlässt es ansonsten seinem neuen Innenminister Boris Rhein (CDU), sich mit den Vorwürfen zu beschäftigen und Konsequenzen zu ziehen. Wegen der Affäre um Mobbingvorwürfe und autoritäre Strukturen verlor zuerst Landespolizeipräsident Norbert Nedela seinen Job, dann wurde die Chefin des Landeskriminalamts, Sabine Thurau, versetzt.
Auf die Fahnen schreiben kann sich Bouffier immerhin, dass sich die sonst so zerstrittenen Parteilager unter seiner Führung auf einen Vorschlag für die Einführung einer Schuldenbremse in Hessen geeinigt haben. Demnach darf das Land ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden mehr machen. CDU, FDP, SPD und Grüne wollen nun einen gemeinsamen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen, nur die Linke hat sich strikt gegen die nötige Verfassungsänderung ausgesprochen. Um die Deutungshoheit, was mit den vereinbarten Bedingungen für das Schuldenverbot genau gemeint ist, ist allerdings schon längst wieder erbitterter Streit ausgebrochen.