Bundespräsident Johannes Rau hat US-Präsident George W. Bush wegen des Irak-Kriegs und seiner religiösen Rechtfertigungen erstmals direkt angegriffen. "Es gibt zwar Situationen, in denen Krieg unvermeidlich ist, aber dies war im Irak nicht der Fall", sagte Rau in der n-tv-Sendung "Maischberger" am Montag. Außerdem unterliege Bush einem "grandiosen Missverständnis", wenn er von einer göttlichen Mission spreche, die ihn zu diesem Krieg antreibe. Der Schaden scheine grenzenlos zu werden. "Es ist höchste Zeit, dem Krieg durch humanitäre Taten zu widerhandeln, statt nur zu widersprechen."
Kein Recht auf Kreuzzug
"Ich glaube nicht, dass ein Volk einen göttlichen Hinweis erhält, ein anderes Volk zu befreien." Das sei eine völlig einseitige Botschaft von Bush. Nirgends in der Bibel werde zu Kreuzzügen aufgerufen. Die Meinung des US-Präsidenten sei nicht verbindlich für alle Christen. "Der Papst hingegen spricht in dieser Frage wohl eher für die ganze Menschheit." Viel dringlicher als der Irak-Krieg wäre Rau zufolge eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gewesen, "aber darum kümmert sich die amerikanische Administration leider viel zu wenig". Die Berichte vom Krieg weckten in ihm schlimme Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.
Mahnende Worte von Grünen-Chefin Beer
Nach Einschätzung der Grünen-Chefin Angelika Beer werden die USA den Krieg militärisch gewinnen - aber "weder chirurgisch sauber noch als Blitzkrieg". Sie warnte Kriegsgegner vor "Schadenfreude", weil die Kämpfe länger dauerten als vermutet. "Jedes Opfer, egal auf welcher Seite, ist zu beklagen." Zugleich mahnte sie, die USA dürften sich nach dem Krieg nicht neue Ziele wie Syrien oder Iran suchen.
Schönbohm nimmt Merkel in Schutz
In der Union wird der Streit um den Irak-Kurs von CDU-Chefin Angela Merkel unterdessen immer schärfer. Angesichts des wachsenden Widerstands gegen ihre pro-amerikanische Linie attackierte Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm nun ihre Kritiker: "Wir müssen endlich einmal wegkommen von dieser Gefühlsbetroffenheit." Merkels Ton wird aber von vielen als zu hart empfunden. Mit Spannung wird die Fraktionssitzung an diesem Dienstag erwartet. Bei der vorbereitenden Sitzung des geschäftsführenden Fraktionsvorstands gab es allerdings keine Kritik an Merkel, hieß es am Montagabend.
In Peking ging CSU-Chef Edmund Stoiber nochmals deutlich auf Distanz zur USA im Irak-Krieg. Er hatte sich auch zuvor Merkels Kurs nicht zu Eigen gemacht. Nach dpa-Informationen wird sich Kanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag vor allem mit Merkels Irak-Kurs auseinander setzen.

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Die deutschen Grenzen bleiben vorerst dicht
Das Auswärtige Amt erklärte, es sei das "Gebot der Stunde", eine humanitäre Tragödie im Irak zu verhindern. Für Fragen des Wiederaufbaus, bei dem die UN die zentrale Rolle spielen müsse, sei es noch zu früh. Finanzminister Hans Eichel (SPD) vertrat die Ansicht, der entscheidende Beitrag zum Wiederaufbau müsse von den USA geleistet werden.
Die Grünen sehen derzeit keinen Grund, die deutschen Grenzen für Flüchtlinge aus dem Irak zu öffnen. In diesem Punkt sei man sich einig mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), sagte Beer. Bei einer möglichen Massenflucht würden die vereinbarten Regelungen innerhalb der EU greifen. Deutschland werde sich der Verantwortung nicht entziehen. Der US-Botschafter in Deutschland, Daniel Coats, würdigte die deutsche Hilfe für das US-Militär. 3700 Bundeswehrsoldaten schützen derzeit US-Einrichtungen.