Guten Tag, Herr Lafontaine – wir dürfen Sie sicher so begrüßen.
Unsinn. Was soll die Provokation? Sie liegen dreifach falsch: mit Person, Partei und Politik.
Die sieben neoliberalen Lebenslügen, die Sie in Ihrem neuen Buch zertrümmern, könnten allesamt aus dem Repertoire des Parteichefs der Linken stammen.
Das ist Quark. Meine Thesen sind nicht radikal. Sie sollen die soziale Marktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung als Ordnungsmodell wieder attraktiv machen. Lafontaine will den Sozialismus, nicht die soziale Marktwirtschaft.
Zur Person
Jürgen Rüttgers, 56, war von 1994 bis 1998 Forschungsminister. 2005 wurde der promovierte Jurist im zweiten Anlauf Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Er regiert mit einer CDU/FDP-Koalition. In der CDU besetzt der stellvertretende Bundesvorsitzende die Rolle des Chefsozialpolitikers, Spitzname: Arbeiterführer von der Ruhr. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Aber Sie argumentieren wie Lafontaine: Sie widersprechen der Behauptung, Steuern und Löhne seien zu hoch, der Arbeitsmarkt sei zu unflexibel und die Mitbestimmung ein Hindernis. Das ist ein großer Sprung nach links.
Es geht nicht um links oder rechts, sondern um richtig oder falsch. Und richtig ist: Wir haben einen stabilen Aufschwung, und das - trotz aller Unkenrufe - obwohl wir unseren Kündigungsschutz nicht geschleift haben, obwohl wir nach wie vor ein hohes Maß an Mitbestimmung haben und trotz beachtlicher Lohnsteigerungen. Reformen müssen auch in Zukunft sein, aber die CDU als Volkspartei der Mitte muss die Leute mitnehmen, wenn sie unter dem Druck der Globalisierung unser Land zukunftsfest machen will.
Sie haben schon einmal Lebenslügen der CDU gegeißelt - und sind dafür in Ihrer Partei abgestraft worden. Wieso klettern Sie erneut in den Boxring gegen die eigenen Leute?
Das tue ich nicht. Ich knüpfe an das an, was ich vor einem Jahr gesagt habe, und verbinde es mit einer Beschreibung dessen, was soziale Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt leisten muss.

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Kann man mit Sozialpolitik à la Rüttgers auf dem Weltmarkt bestehen?
Aber natürlich. Viele Leute warnen heute vor China. Manche Medien schreiben schon von der "gelben Gefahr". Abgesehen davon, dass das ziemlich rassistisch daherkommt - es ist barer Unsinn. Früher hieß es "die Amerikaner kommen", danach drohte der ökonomische Großangriff der Tigerstaaten. Bis vor Kurzem ging doch alles noch ehrfürchtig vor den angeblich unzähmbaren Gewalten der Globalisierung in die Knie. Heute fordert die Kanzlerin in China faire Wettbewerbsregeln. Wir müssen die Globalisierung gestalten, und ich bin sicher, dass wir bestehen werden.
Sein neues Buch
"Die Marktwirtschaft muss sozial bleiben. Eine Streitschrift", Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN-10: 3462039318, ISBN-13: 978-3462039313, 17,90 Euro
Ein optimistischer Sozialdemokrat - das ist ja ganz was Neues ...
Ich bin Christdemokrat. Und das ist ein Riesenunterschied! Mein Optimismus hat gute Gründe. Was die Menschen in den vergangenen Jahren an Lohnzurückhaltung, an Flexibilität, an Leistungsbereitschaft gezeigt haben, ist großartig. Es ist ihr Aufschwung. Wir sind viel besser vorbereitet, als viele denken.
Dann könnten wir uns ja ruhig zurücklehnen.
Eindeutig nein. Wir müssen, um die soziale Marktwirtschaft zum Modell für Länder außerhalb Europas werden zu lassen, endlich damit Ernst machen, die Globalisierung zu gestalten. Das übrigens verlangt auch Altkanzler Helmut Schmidt, dessen wirtschaftspolitische Kompetenz wohl außer Zweifel steht.
Da haben wir sie: die neue Große Koalition Schmidt-Rüttgers ... Sie wollen mal Kanzler werden.
Unfug! Ich will nur darauf verweisen, dass wir die Globalisierung in Bereichen wie Klima, Energie, Finanzmärkte, Arbeitsrecht selbstbewusst gestalten müssen. Wenn Schmidt nicht nur neue Spielregeln auf den Finanzmärkten fordert, sondern auch gegenüber Fonds Beschränkungen verlangt, bin ich ganz bei ihm. Das gilt etwa für das Verbot, Finanzfonds, die irgendwo in der Karibik sitzen und sich allen Transparenzregeln entziehen, die Tore in Deutschland zu öffnen.
Das ist ein Frontalangriff auf die Wirtschaftsliberalen. Verabschieden Sie sich vom Bündnispartner FDP?
Keineswegs. Wir haben hier in Nordrhein- Westfalen mit dem Koalitionspartner FDP ein sehr vernünftiges sozialpolitisches Programm auf den Weg gebracht. Ich bin mit meinem Partner sehr zufrieden.
Der heißt nicht Guido Westerwelle.
Aber Westerwelle gehört zum nordrheinwestfälischen Landesverband.
stern - Gespräch mit Folgen
Im August 2006 stieß Rüttgers mit seinen Thesen eine heftige Debatte in der CDU an
Sie schreiben eine Streitschrift gegen den Neoliberalismus - und wollen nicht mal mit Guido Westerwelle streiten?
Warten Sie es ab. Streit um den richtigen Weg für die Zukunft ist mir willkommen.
Wirklich gefährlich wird Ihnen die Linkspartei. Wenn sie sich etabliert, ist es vorbei mit schwarz-gelben Mehrheiten.
Langsam, langsam. Richtig ist: Wenn die Linkspartei in die Parlamente kommt und in Zukunft nur noch Regierungen möglich sind mit drei Parteien, dann hat sich die politische Landschaft in Deutschland radikal verändert. Das würde zu wachsender Instabilität führen. Deshalb ist zuerst mal die SPD aufgerufen, das zu verhindern.
Nicht nur die SPD. Auch die Union hat ein Problem und eine Aufgabe.
Da haben Sie recht. Auch die Union muss da was tun. Es geht nicht nur um Parteipolitik, sondern um unsere Demokratie.
Und was heißt das?
Man muss Lafontaine beim Wort nehmen. Das ist das Schlimmste, was man ihm antun kann. Dann entblättert sich, dass er nur große Sprüche und leere Versprechungen macht. Im Zeitalter der Globalisierung zu rufen: Wir werden das alles staatlich regeln, ist keine Antwort.
Trotzdem: Mit dem Erfolg der Linkspartei sind alle nach links gerückt. Freiheit und Sicherheit -das wäre als Grundmelodie für ein neues Parteiprogramm der CDU vor gar nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen.
Einspruch. Mit Oskar L. hat das nichts zu tun. Im Übrigen wird die Linkspartei nur wachsen, wenn die SPD falsch reagiert und wie in Nordrhein-Westfalen weiter nach links rückt. Dann landet sie im 20-Prozent- Bunker und kommt nicht mehr raus.
Oder sie bereitet das Linksbündnis vor - für die Zeit nach 2009.
Ich glaube das Gerede von der linken Mehrheit in Deutschland nicht. Sollte die SPD tatsächlich darauf spekulieren, soll es mir recht sein. Ich will die Helmut-Schmidt- Wähler für die CDU gewinnen.