Köhler-Rede "Chance verpasst, Thema verfehlt"

Politiker von SPD und Grünen haben die Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler zum 60. Jahrestags des Kriegsendes zum Teil scharf kritisiert. Etwas Lob gab es allerdings auch - von einem Amtsvorgänger.

Politiker von SPD und Grünen haben sich enttäuscht über die Rede von Bundespräsident Horst Köhler zum 60. Jahrestag des Kriegsendes gezeigt und ihn scharf kritisiert. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler hielt Köhler in ungewöhnlich kritischen Worten in Berlin vor, sich als Wegbereiter eines neuen konservativen geistigen Umfelds zu profilieren. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker lobte die Rede dagegen. In der Hauptstadt würdigten Politiker aller Parteien das Engagement der Berliner, die am Sonntag eine Demonstration der rechtsextremen NPD verhindert hatten.

Erler kritisierte, Köhler sei es nicht geglückt, in die Fußstapfen Weizsäckers zu treten, der zum 40. Jahrestag mit einer großen Rede Orientierung gegeben habe. "Eine Reihe von zustimmungsfähigen Feststellungen und Passagen machen noch keine große Rede." Die Botschaft der Rede "hängt eigenartig schief in der politischen Landschaft". Köhler, der auch der deutschen Opfer gedachte, habe die Opfer bewusst nebeneinander und gleichgestellt. Zu den Anmerkungen Köhlers über die Geschichte der DDR sagte Erler: "Im Kontrast zu dieser Finsternis hat sich in Westdeutschland das Licht der Freiheit ausgebreitet, mit lauter weisen politischen Entscheidungen und mit der Rückverwandlung Deutschlands in eine Kulturnation, die Deutschland bis 1933 gewesen ist."

"Mehr Bescheidenheit, weniger Nationalstolz"

Auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kritisierte das Staatsoberhaupt: "Ich hätte mir ein bisschen weniger Nationalstolz, ein bisschen mehr europäische Dimension, ein bisschen mehr Bescheidenheit an diesem 8. Mai gewünscht." Köhler hätte sich mehr auf die Opfer des Nationalsozialismus konzentrieren sollen. Der Grünen-Politiker Fritz Kuhn nannte die Rede "etwas beliebig". "Geschichten aus dem Wiederaufbau ersetzen nicht die Auseinandersetzung mit Geschichte", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel".

Die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Cornelie Sonntag- Wolgast (SPD), kritisierte, Köhler habe "zu viel Selbstsicherheit dieses Landes von heute verbreitet und deutlich zu wenig Warnung und Abkehr gegen den Rechtsextremismus ausgedrückt". Es genüge nicht festzustellen, dass die Unbelehrbaren keine Chance hätten, man müsse auch ausdrücklich festhalten, dass sie keine Chance haben dürften, sagte Sonntag-Wolgast dem Südwestrundfunk.

"Gemischte Gefühle" bekundete Peter Danckert, Sprecher der brandenburgischen SPD-Bundestagsabgeordneten, in der "Märkischen Allgemeinen". Mit mit einigen Abschnitten von Köhlers Rede habe er sich voll identifizieren können, andere seien ihm aber "zu stark auf die Gegenwart ausgerichtet gewesen". Nach seinem Eindruck habe der Bundespräsident "das Thema verfehlt". Die Erinnerung an den 8. Mai 1945 sei nicht der geeignete Anlass, die aktuelle Reformdiskussion fortzusetzen.

Weizsäcker verteidigt Köhler

Weizsäcker verteidigte Köhler. Der Bundespräsident habe zwei wichtige Aspekte betont, die "vollkommen uneingeschränkte Erinnerung an das, was sich vor 60 Jahren zugetragen hat" und das, "was sich im Laufe der letzten 60 Jahre ergeben hat". Dies habe er "in einer vorbildlichen Weise getan", sagte der Alt-Bundespräsident in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Köhler hatte sich bei der gemeinsamen Feierstunde von Bundestag und Bundesrat entschieden gegen einen Schlussstrich ausgesprochen und die demokratische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland hervorgehoben.

Wowereit begrüßt friedliche Blockade der NPD

Zu der verhinderten NPD-Demonstration sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), er sei dankbar, dass ein breites Bündnis den Neonazis nicht die Straße überlassen habe. Auch Weizsäcker zollte den Demonstranten Anerkennung für ihre Zivilcourage. Er kritisierte aber, dass den Rechtsradikalen vor dem 8. Mai durch allzu intensive Beschäftigung Rückenwind verschafft worden sei. Tausende von Gegendemonstranten hatten am Sonntag in Berlin-Mitte den nach Polizeiangaben 3325 Neonazis den Weg zum Boulevard Unter den Linden versperrt. Nach Stunden des Wartens sagte die NPD-Führung auf Anordnung der Polizei die Demonstration ab.

AP · DPA
DPA/AP

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