Das ist das Schöne an den deutschen Sozialdemokraten: Auf sie ist Verlass. Eigentlich brauchen sie gar keine politischen Gegner. Denn wenn immer es geht, machen sie sich das Leben zur Hölle. Sie jammern einfach gerne, am liebsten über sich selber. Man könnte SPD übersetzen mit: Schwermütige Partei Deutschland. Man könnte auch sagen: Die SPD hat den Blues, den Dauerblues.
Recht besehen, ging es der Partei in den vergangenen neun Jahren exakt an drei Tagen gut: Am Wahltag 1998 nach dem grandiosen Sieg von Rot-Grün - bis den Genossen auffiel, dass sie nun von Gerhard Schröder regiert werden würden. Am Wahltag 2002, als die SPD gerade noch mal den Allerwertesten durch die Tür des Kanzleramtes gekriegt hatte - bis den Genossen auffiel, dass dort drin weiter Schröder-Politik gemacht werden würde. Und am Wahltag 2005, als die SPD wenigsten gefühlt noch einmal gewonnen hatte - bis den Genossen auffiel, dass sie nun nicht mehr von Schröder regiert werden würden.
SPD im Jammertal
Zwischen diesen seltenen Hoch-Tagen fühlte sich ein großer Teil der Sozialdemokraten im doppelten Wortsinne beschissen - von ihrem Kanzler, der eine vermeintlich anti-sozialdemokratische Politik machte, und dann als Folge davon dann mental und überhaupt. Und irgendwie haben sie im Laufe der Zeit ihren Blues so lieb gewonnen, dass sie gar nicht mehr merken, dass sie richtig gute Politik machen. Und weil sie das in ihrem Jammertal nicht mehr merken, greifen sie auf Politik-Ersatz zurück.
Und damit sind wir bei der, je nun, aktuellen Debatte: dem plötzlich vom Zaun gebrochenen Streit um den geplanten US-Abwehrschirm. "Wir brauchen keine neuen Raketen in Europa", postuliert SPD-Chef Kurt Beck. "Es gibt weltweit genügend Probleme." Das ist wohl gesprochen, ja, das ist auch sehr wahr gesprochen. Man würde ihm aber noch viel lieber zustimmen, wäre es nicht auch und vor allem eine Botschaft nach innen, an die eigene Anhängerschaft: Die SPD ist und bleibt die große Friedenspartei.
Das Thema, wenigstens, bleibt den Sozialdemokraten aus ihren Binnensicht noch, um ihr Profil zu schärfen. Frieden - das ist für die SPD-Führung mittlerweile ein ganz besonderer Stoff, so etwas wie für den Schweralkoholiker der Brennspiritus. Soweit ist es nämlich gekommen mit der einst auf sich so stolzen SPD.
Genossen können stolz sein
Dabei hätten die Genossen das gar nicht nötig. Sie hätten nämlich allen Grund, auch auf die Zeit zwischen den letzten drei Wahltagen stolz zu sein. Sie bräuchten zum Beispiel nur auf ein paar Daten zu verweisen, auf wachsende Wirtschaft und die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Und dann könnten sie sich auf die Schultern klopfen und prahlen: Haben alles wir gemacht! Mit unserer Politik. Gemäß des Ratschlags eines ihrer vielen Ex-Vorsitzenden: "Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern." Stattdessen schämen sie sich für ihre alten wie für ihre aktuellen Entscheidungen und suchen Frieden.
Sie haben den Umfragekeller-Blues und den Wozu-sind-wir-eigentlich-noch-da-Blues. Sie haben den Franz-Müntefering-Rente-mit-67-Blues und den Peer-Steinbrück-acht-Milliarden-für-die-Unternehmen-Blues. Sie haben den Ulla-Schmidt-und-die-Gesundheitsreform-Blues (den man aber schon mal haben kann) und den Wie-heißt-unser-Verkehrminister-gleich-noch-mal-Blues (den man aber ganz sicher haben kann). Sie haben den Warum-haben-wir-keine-Ursula-von-der-Leyen-Blues. Und sie haben jede Menge anderer Sorgen.

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Aber sie haben ja den Frieden. Der hilft über das Schlimmste hinweg. Erst einmal. Aber irgendwann wird der SPD-Außenminister auch die Frage beantworten müssen, wie er es denn nun bei den US-Raketen hält mit seiner Partei-(führung) oder mit seiner Kanzlerin. Das könnte eine unbequeme und unschöne Entscheidung werden. Und spätestens im Herbst, wenn die Isaf- und OEF-Mandate verlängert werden müssen, wird die bittere Frage aufgeworfen, wie die Genossen im Bundestag abstimmen werden: für den Verbleib in Afghanistan? Oder fürs Abziehen: der deutschen Soldaten - und damit wohl auch der SPD aus der Regierung.
Vielleicht will Kurt Beck seine Blues-Brothers ja in diese Lage manövrieren. Vielleicht will er ja wirklich ein Remake des 2002er-Friedenswahlkampfes. Vielleicht hat auch er, wie einst Schröder, plötzlich Willy Brandt entdeckt: "Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden." Vielleicht...
Die SPD hätte dann sicher ihren Seelen-Frieden. Aber dann in der Opposition.