Altkanzler Helmut Kohl (CDU) geht mit der Politik seiner Nachfolger hart ins Gericht. "Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen", beklagte Kohl in einem Interview der Zeitschrift "Internationale Politik". "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen." Deutschland und Europa müssten ihre Verantwortung für die Welt "endlich wieder wahrnehmen".
Kohl, der Deutschland von 1982 bis 1998 regiert hatte, bezog sich auf Entscheidungen wie die Ablehnung des Irak-Kriegs unter Rot-Grün, aber auch auf die jüngste Enthaltung im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Libyen-Intervention. "Wir müssen wieder und für andere erkennbar deutlich machen, wo wir stehen und wo wir hin wollen", forderte der frühere Bundeskanzler. Anderenfalls laufe Deutschland Gefahr, "beliebig und unberechenbar zu werden."
Merkel und Rot-Grün kriegen ihr Fett weg
Als Beleg verwies er darauf, dass US-Präsident Barack Obama bei seiner jüngsten Europa-Visite zwar Frankreich und Polen, nicht aber Deutschland besucht habe. "Nach allem, was wir Deutsche und Amerikaner gemeinsam erlebt und durchlebt haben und was uns bis heute tief verbindet, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht."
Die Abschaffung der Wehrpflicht unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete Kohl ausdrücklich als Fehler, nahm aber auch die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) aufs Korn. Ohne tiefgreifende Reformen hätte Griechenland damals kein Mitglied der Euro-Zone werden dürfen. Trotzdem mahnte der Altkanzler dringend zur Solidarität mit Griechenland und zur Rettung des Euro. "Wir haben keine Wahl, wenn wir Europa nicht auseinanderbrechen lassen wollen", betonte Kohl. "Europa bleibt gerade auch für Deutschland ohne Alternative."