Merkel in Warschau Was stört die Polen an den Deutschen?

In einem spannungsreichen Klima besucht Kanzlerin Merkel heute Polen. Aber warum gibt es diese Spannungen überhaupt? Was haben die Polen gegen Deutschland? Im stern.de-Interview berichtet die Grenzgängerin Agnieszka Surwillo von ihren Erfahrungen.

Frau Surwillo, Kanzlerin Merkel besucht heute Warschau - in einer Zeit, in der das deutsch-polnische Verhältnis sehr anspannt ist. Was haben die Polen gegen die Deutschen?
Es ist natürlich immer schwierig, für "die Polen" zu sprechen. Aber laut einer Umfrage in Polen vom Oktober 2006 gibt es keine feindseligen Einstellungen der Polen oder der polnischen Regierung gegenüber Deutschland. Rund ein Drittel der Polen verspürt zwar Antipathie, aber auch ein Drittel Sympathie, ein Drittel gibt sich gleichgültig. Diese Einstelllungen sind stabil. Sie hängen wohl auch davon ab, ob man selbst persönliche Erfahrungen mit Deutschland und den Deutschen gemacht hat. Ein Warschauer Politologe spricht jedoch von Misstrauen und Distanz bei der derzeitigen polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" gegenüber Berlin. Diese habe den Eindruck, von Deutschland nicht als echter Partner behandelt zu werden.

Jenseits der wissenschaftlichen Analysen. Spüren sie ein Ressentiment der Polen gegenüber Deutschland auch in Ihrem Umfeld?
Die Haltung der Regierung hat sicher auch einen Einfluss auf die Haltung einzelner Bürger. Nach meiner Erfahrung hängt die Einstellung jedoch wirklich sehr stark davon ab, ob man persönliche Kontakte hat, Gesprächspartner, mit denen man sich austauschen kann. Etwa über ein Thema, das die Polen besonders interessiert, nämlich die Frage, wie die Deutschen ihre eigene Geschichte verarbeiten.

Zur Person

Die Polin Agnieszka Surwillo, 30, ist zweite Vorsitzende von MitOst, eines in Berlin ansässigen Vereins, der sich mit Hilfe der Robert-Bosch-Stiftung für Sprach- und Kulturaustausch mit Mittel-, Ost- und Südosteuropa einsetzt. Die Kulturmanagerin lebt seit 2003 in Dresden. An der dortigen Technischen Universität kümmert sie sich vor allem um deutsch-polnische Projekte im kulturellen Bereich.

Da geht es vor allem um die Vertriebenen?
Die Vertriebenen und die Ansprüche der Preußischen Treuhand. Es geht um jene Vertriebenen, die sagen: Auch wir sind Opfer des Zweiten Weltkriegs. Diese Sichtweise wird in Polen zum Teil nicht akzeptiert, wenn sie aus jeglichem historischen Kontext und den kausalen Zusammenhängen herausgerissen wird. Man nimmt sie als gefährlich wahr, weil man fürchtet, dass sie zu einer Relativierung der polnischen Leiden führen kann.

Sie sind eine Grenzgängerin zwischen Polen und Deutschland. Wissen die Deutschen überhaupt genug über Polen?
Ich habe verschiedene Erfahrungen gemacht. Es gibt eine Gruppe von Deutschen, die sich sehr für Polen interessiert. Es gibt aber auch viele Deutsche, die Polen überhaupt nicht kennen - und es auch nicht kennen lernen wollen. Das ist schade, aber man kann das den Leuten im Prinzip auch nicht vorwerfen. Früher interessierten sich viele Polen für Deutschland, weil es ein Land war, vor dem man Angst hatte. Auch aus wirtschaftlichen Gründen interessieren sie sich für die Deutschen, sie orientieren sich nach Westen. Aber Deutschland ist ein großes Land. Vielleicht orientieren sich auch die Deutschen eher nach Westen - und haben deshalb kein Interesse an Polen.

Was unternehmen die Regierungen, um dieses gegenseitige Interesse zu fördern?


Da gab es in letzter Zeit leider keine guten Signale von Seiten der polnischen Regierung: Die lange Unsicherheit über die Finanzierung des deutsch-polnischen Jugendwerks etwa wirft kein gutes Licht auf die Bestrebungen, den Austausch zu fördern.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sind die Vorurteile auf beiden Seiten ein Generationenproblem - oder herrscht die gegenseitige Skepsis auch bei den Jüngeren vor?
Ich habe auf beiden Seiten auch junge Menschen erlebt, die Skepsis gegenüber dem jeweils anderen Land hegen. Wenn man keine eigenen Erfahrungen hat, hängt das vor allem davon ab, welche Prägungen man im Elternhaus oder im privaten Umfeld erfahren hat. Unter jungen Menschen, die die Möglichkeit des Austauschs wahrgenommen haben, gibt es jedoch kaum Vorbehalte.

Sie setzen sich vor allem für den kulturellen Austausch ein. Was wären denn wichtige Schritte, die nun gegangen werden müssten?


Wir bräuchten vor allem mehr Förderung für den Kultur- und Sprachaustausch zwischen beiden Nationen. Die deutsche Sprache wird in Polen insofern gefördert, als dass sie an den Schulen unterrichtet wird - und auch populär ist. Es wäre gut, etwas mehr für die Förderung der polnischen Sprache an deutschen Schulen zu tun, interessierten Deutschen den Zugang zu der Sprache zu erleichtern. Auch fände ich es gut, wenn man sich ein wenig von dem alleinigen Fokus auf die deutsch-polnischen Beziehungen lösen und den Austausch mit Mittel- und Osteuropa insgesamt stützen würde. Dort könnten sich Jugendliche eine viel breitere Perspektive aneignen. Auch das würde den deutsch-polnischen Beziehungen gut tun.

Interview: Florian Güßgen