Corona-Gipfel Merkels Kampf gegen versteckte Corona-Mutanten - und den Pandemie-Frust

Inzidenz 0,0 – diese zwei Landkreise sind wieder coronafrei
Inzidenz 0,0 – diese zwei Landkreise sind wieder coronafrei.
© n-tv / DPA
Angela Merkel versucht alles, um den harten Lockdown zu verlängern. Doch einige Länderchefs und der Frust in der Bevölkerung stellen sich dagegen. Deshalb ist die Kanzlerin in der Frage von Schul- und Kitaöffnungen zu Kompromissen bereit.

Es ist ein Spagat, der Angela Merkel gelingen muss. Einerseits wächst mit den endlich sinkenden Infektionszahlen in Bevölkerung und Wirtschaft die Ungeduld: Wann kann das Land nach monatelangem Lockdown wieder hochfahren? Wann öffnen Geschäfte und Restaurants - und ist so eine Massenpleite noch zu verhindern? Auf der anderen Seite, so glaubt die Kanzlerin, lauern die aggressiven und heimtückischen Mutationen des ohnehin gefährlichen Coronavirus.

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Sieben Monate vor der Bundestagswahl steht ausgerechnet die eher als kühl und den Fakten zugeneigt geltende Kanzlerin in der Corona-Krise vor der schweren Aufgabe, den Deutschen einen weiteren "Kraftakt", wie sie es selbst nennt, abzuverlangen: die erneute Verlängerung des Lockdowns mit vielen Unannehmlichkeiten bis mindestens Anfang März.

Merkel kann nicht auf gesicherte Zahlen verweisen

Das ist zwei Monate nach Beginn des harten Lockdowns nichts Neues. Neu ist aber, dass Merkel bei der Konferenz mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch zur Begründung nicht auf gesicherte Zahlen verweisen kann. Die vielen Infektionen in den Grenzgebieten und die Erfahrungen anderer Länder mit den aggressiven Virus-Mutanten dürften nicht jeden überzeugen. Vielmehr muss die Physikerin wegen der neuen Gefahr nun an das Gefühl appellieren.

Noch bevor das ohnehin nicht einfache Treffen am Nachmittag beginnt, setzt das Kanzleramt am Morgen eine auch für viele Länder überraschende Zielmarke: Im Entwurfpapier für die Verhandlungen wird plötzlich eine Verlängerung des Lockdowns unter anderem für Handel und Wirtschaft um einen Monat bis Mitte März vorgeschlagen. Im Gegenzug - so kann man es lesen - sollen die Länder "im Rahmen ihrer Kultushoheit" freie Hand für die Öffnung von Schulen und Kitas bekommen. Samt Aussicht auf geöffnete Friseurgeschäfte von März an.

Die Reaktionen der Ministerpräsidenten fallen dem Vernehmen nach vielfach alles andere als zustimmend aus. Immerhin hatten hier viele Anfang März als maximale Dauer des Lockdowns eingepreist. Von einem "Holzhammer" ist die Rede, von einer "Trotzhaltung". Folge: Die für 11.00 Uhr angesetzte erste Verhandlungsrunde der Ministerpräsidenten ohne Merkel muss um mehr als eine Stunde verschoben werden.

Schul- und Kita-Öffnungen will Merkel den Ländern überlassen

Warum Merkel so handelt, hat sie schon am Vortag in der Online-Sitzung der Unionsfraktion erläutert: Die Bürger hätten durch das Einhalten der Regeln bereits viel möglich gemacht, lobt sie dort zwar laut Teilnehmern. Aber man wisse auch, wie schnell die Zahlen wieder steigen könnten - gerade angesichts der gefährlichen Mutanten. Schon dort spricht sie Klartext: So schwer es auch fällt, sie sei gegen jegliche Lockerungen vor dem 1. März.

Dass das Kanzleramt im Bildungs-Passus seines Entwurfs den Ländern dann doch freie Hand für die schrittweise Rückkehr zum Präsenzunterricht und die Ausweitung der Kindertagesbetreuung gibt, könnte als Einknicken der Kanzlerin gewertet werden. Oder als taktischer Zug, da Merkel weiß, dass die Länder sich im Schul- und Kultusbereich ohnehin nicht reinreden lassen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Bleibt die Frage, wie die Ergebnisse der Bund-Länder-Schalte so verkauft werden können, dass die coronamüde Bevölkerung auch weiter mitzieht. Dazu brauchen die Menschen zum einen eine Perspektive und zum anderen direkte Ansprachen: Genau diesen Weg hat Merkel bereits aufgenommen. Immer wieder stellt sich die Kanzlerin vor Kameras und Mikrofone. Dazu passt auch, dass sie an diesem Donnerstag im Bundestag ihre nächste Regierungserklärung zur Pandemie abgeben wird.

Ein Königsweg in dieser Gemengelage dürfte unmöglich sein

Doch zunächst muss Merkel dafür sorgen, dass Bund und Länder ihren mühsam erkämpften gemeinsamen Pfad im Krisenmanagement nicht im Streit um Lockerungen aufgeben. Doch genau das ist wegen der sich regional sehr unterschiedlich entwickelnden Lage längst nicht ausgeschlossen. Seit Wochen machen Pläne über stufenweise Lockerungen (oder zumindest die Aussicht darauf) die Runde. Und - wer will es der Bevölkerung verübeln - sie alle fallen nach rund einem Jahr der Pandemie auf fruchtbaren Boden. Wer dagegenhalten will, braucht gute Argumente und starke Nerven.

Was die Fakten angeht, sehen sich Merkel und ihre Unterstützer eines langsamen Kurses - allen voran die Ministerpräsidenten aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) - bundesweit sinkenden Infektionszahlen gegenüber, die auf den ersten Blick nichts anderes als Lockerungen realistisch erscheinen lassen.

Ein Königsweg in dieser Gemengelage dürfte unmöglich sein. Jeder Kompromiss muss damit leben, dass er anderen Anforderungen nicht gerecht wird. Bleibt Deutschland noch länger im harten Lockdown, schadet dies Wirtschaft und Handel. Umgekehrt kann jede Lockerung die bisher erzielten Erfolge im Pandemiemanagement zunichtemachen. Wie der schleppende Anlauf bei den Impfungen im Land fallen Merkel und Co. die schleppend ausgezahlten Corona-Hilfsgelder auf die Füße.

Portugal, England und Irland als mahnende Beispiele

Der Schlüssel liegt einmal mehr im Faktor Zeit. Sie erwarte, dass die britische Variante des Virus in wenigen Wochen auch in Deutschland die dominante sein werde, sagt Merkel am Dienstag in besagter Online-Sitzung der Unionsfraktion. Dann sei die Gefahr groß, dass die Fallzahlen wieder steigen. Aus dem Lager der Merkel-Unterstützer in den Ländern ist zu hören, dass Mitte März die teils sehr aggressiven Mutanten das Infektionsgeschehen auch in Deutschland dominieren werden. Was dann drohe, habe sich schon in Portugal, England und Irland gezeigt - explodierende Infektionszahlen ohne jede Kontrolle.

Ob das auch für Deutschland zwingend so kommen muss, weiß niemand sicher. Klar ist nur: Je niedriger die Fallzahlen dann sind, desto besser könnte das Land eine drohende dritte Welle überstehen. Merkel spricht am Dienstag davon, dass die Zeit, in der die britische Virusvariante noch nicht die Oberhand gewonnen habe, mit aller Kraft genutzt werden müsse, die Infektionszahlen herunter zu bekommen.

Bei den Verhandlungen kommt Merkel aber noch etwas zu Gute: Zum einen genieße sie - so heißt es von Länderseite - parteiübergreifend große Autorität. Denn letztlich habe die Kanzlerin bisher mit ihrem besonders vorsichtigen Kurs immer Recht behalten. Zum anderen wolle niemand durch einen Alleingang am Ende die alleinige Verantwortung übernehmen, sollten sich Merkels Befürchtungen wieder bestätigen. Und noch eine Last muss Merkel nicht tragen: Anders als alle anderen am Verhandlungstisch könne sie ohne jede Angst wegen kommender Wahlen agieren, heißt es. Auch das dürfe niemand unterschätzen.

DPA
tis / Marco Hadem und Jörg Blank