Gewiss erinnert sich Wolfgang Schäuble noch. Wie er 2004 mit seiner Frau an einem Abend zusammen saß und einen Schlussstrich unter den zweiten verlorenen politischen Lebenstraum zog. Erst war er auf dem Weg zur Kanzlerschaft gescheitert, dann auf jenem zum Amt des Bundespräsidenten. CDU, CSU und FDP hatten sich für Horst Köhler entschieden. Unter Angela Merkels Regie.
Die Schäubles entkorkten einen Grauburgunder aus der badischen Heimat, stießen miteinander an und er sagte: "Auch gut, dass der Kelch vorüber gegangen ist."
Wie würde Schäuble reagieren, wenn er jetzt von Angela Merkel noch einmal gebeten würde, sich fürs höchste Staatsamt bereit zu finden? Damals blickte er in seinem Büro auf ein Adenauer-Porträt an der gegenüberliegenden Wand und schützte seine verwundete Seele wie er es stets tut. Mit Sarkasmus. Zeigte auf den Alten und sagte: "Der war im Umgang mit Menschen doch noch skrupelloser." Skrupelloser als wer? Als die Machtfrau Merkel.
Ohne Zweifel passte Schäuble auch jetzt am besten von allen Kandidaten ins Machtkalkül der allseits bedrängten Kanzlerin. Denn seine Wahl würde jetzt im Gegensatz zu 2004 auch von CSU und FDP in der Bundesversammlung unterstützt. Mit dem Blick auf seinen Lebensweg könnte er auch mit Stimmen der drei Oppositionsparteien rechnen. Denn mehr politische Erfahrung hat im Bundestag keiner. Und räumt Schäuble den Job des Finanzministers, entstünde ein Freiraum, der sich mit Jürgen Rüttgers oder sogar mit Roland Koch besetzen ließe.
"Ein Präsident, der Mut zur Veränderung macht"
Aber auch heute gilt, was schon galt, als Merkel ihn 2004 am Ende am Esstisch von Guido Westerwelle als Präsident verschacherte: Ein Präsident mit dem politischen Zuschnitt und der inneren Unabhängigkeit Schäubles könnte ihr zu unbequem sein. Wenn Präsident, dann möchte Schäuble, wie er es stern.de einmal sagte, "ein Präsident sein, der Mut zur Veränderung macht."
Noch immer betrachtet Schäuble mit Sicherheit das Präsidentenamt als Chance zur politischen Gestaltung und der persönlichen Selbstverwirklichung. Er weiß auch, dass ihn weit über das schwarz-gelbe Spektrum hinaus viele Menschen als fairen Begleiter zu grundsätzlichen Reformen der Gesellschaft betrachten würden. Dass er das Amt im Rollstuhl leichter meistern könnte als den Knochenjob des Finanzministers in Zeiten der globalen Finanzkrise, davon ist er überzeugt - trotz aller gesundheitlichen Probleme in den vergangenen Monaten.
Unstrittig ist allerdings zugleich, dass ihn seine jetzige Rolle als wichtigster Mann der Frau reizt, die wesentlich daran beteiligt war, sein Ziel als Kanzler nicht zu erreichen. Seine Freunde konnten ihn immer wieder mal klagen hören, "sie ist nie hin gestanden für mich." In Schäuble steckt zwar bis heute ein grundsätzlicher Respekt vor Merkel. Aber er hatte 2004 sie auch gebeten: "Ich möchte nicht noch mehr verletzt werden, als dies bereits geschehen ist. Ich habe genügend Verletzungen ausgehalten, mein Bedarf ist gedeckt."
Hat sich die Bundeskanzlerin verändert?
Einer seiner besten Freunde, der frühere Parlamentarische CDU-Geschäftsführer Hans Peter Repnik hat einmal mit Blick auf einen Bundespräsidenten Schäuble gesagt: "Er hätte es verdient, er wäre ein Glücksfall für die Nation."

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Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bleibt die Frage: Hat sich Angela Merkel verändert?
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