Hessen-Wahlkrampf Die Horror-Woche der Nancy Faeser

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
© Boris Roessler / DPA
Umfragen rutschen ab, Interna kursieren, es gibt Streit um Auftritte: Mitten in der heißen Phase des hessischen Wahlkampfs durchlebt Nancy Faeser eine Horror-Woche. Was ist los mit der Innenministerin?

Am Mittag zeigt sie sich endlich mal, da steht Nancy Faeser am Pult des Bundestags und wirkt verärgert. Ein paar Tage war sie abgetaucht, war krank, terminlich verhindert. Jetzt knöpft sie sich ihre Gegner vor, vor allem jene in der CDU.

"Ich verstehe ja, dass Sie in den nächsten Wochen alles tun werden, um mich mit Dreck zu bewerfen", ruft sie. Aber Theaterdonner, das solle man sich doch lieber sparen. Die Botschaft: Mir reichts jetzt mit den Vorwürfen.

Es läuft nicht für die Bundesinnenministerin, die im Oktober zur Ministerpräsidentin von Hessen gewählt werden will. Seit Monaten schon schleppt sich ihre Kampagne eher dahin. Nun durchlebt Faeser eine regelrechte Horror-Woche, geprägt von Störgeräuschen, Indiskretionen und einer Affäre um einen gefeuerten Beamten, die seit Wochen im Hintergrund schwelt. Verstolpert sie die heiße Phase des Wahlkampfs, die gerade angefangen hat?

Kaum ein Tag vergeht gerade ohne Diskussionen um sie. So auch an diesem Donnerstagmorgen. In der Früh fragen sich viele Parlamentarier: Wo ist sie? Die Bundesinnenministerin lässt sich entschuldigen, schon wieder.

Statt Faeser erscheint ihre Staatssekretärin zum Rapport im Innenausschuss des Bundestags. Es ist die nunmehr zweite Sitzung, die Aufklärung über die Abberufung von Cybersicherheitschef Arne Schönbohm bringen soll. Und bei der Faeser fehlt. Es ist ein heikles Thema, die umstrittene Versetzung ist für sie schon seit langem ein Problem.

Für die Union ist das Anlass genug, nicht locker zu lassen. Sie hat auf den Termin regelrecht gedrängt. Schon am Dienstag wurden die Abgeordneten von der Innenministerin sitzen gelassen, die gesundheitliche Gründe für ihre Fehlen angeführt hatte. Und dieses Mal? Näheres weiß man nicht.

Macht Faeser einen großen Bogen um alles, was sie in ein unvorteilhaftes Licht rücken könnte? Das ist jedenfalls die Lesart der Opposition – der Faeser in den vergangenen Tagen reichlich Stoff geboten hat, Kritik an ihr zu üben. Sie selbst verteidigt sich am Mittag, als sie im Plenum doch noch auftritt. "Ich mache meine Arbeit", sagt sie da. Cybersicherheit sei ihr wichtig, sie habe die zuständige Behörde stärken wollen. "Dafür war eine Neuaufstellung der Spitze notwendig."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Beim Rennen um die Staatskanzlei hat sie verdammt viel und verdammt schnell aufzuholen. Will sie noch als Siegerin durchs Ziel gehen, kann sich Faeser keine weiteren Patzer erlauben. Im Gegenteil: Sie braucht mal einen Erfolg, muss mal in die Offensive kommen.

Nancy Faeser im Wettlauf gegen die Zeit  

Aber nichts scheint gerade zu klappen. Vergangenen Sonntag will Faeser mit Unterstützung von Bundeskanzler Olaf Scholz in "die heiße Phase" starten, zum Endspurt ansetzen, der in Faesers Fall ein Wettlauf gegen die Zeit ist: Zur Wahl sind es nur noch fünf Wochen. Und Faeser, die in Doppelrolle zwischen Berlin und Hessen wechselt, liegt in sämtlichen Umfragen deutlich hinter CDU-Amtsinhaber Boris Rhein, zum Teil um bis zu zehn Prozentpunkte. Mit nahezu wöchentlichen Vorstößen aus Berlin (EU-Asylkompromiss, neues Staatsbürgerschaftsrecht, schärfere Abschiebungsregeln, mehr sichere Herkunftsländer) versucht sie sich im Gespräch zu halten. Doch auf die Starthilfe durch den Kanzler muss sie verzichten: Scholz streicht wegen einer Sportverletzung alle Termine in Hessen.

Am Dienstag setzt sich Faesers Misere fort. Die Bundesinnenministerin sagt den ersten Innenausschuss-Termin zur Causa Schönbohm ab: ein "Arzttermin infolge ihrer überstandenen Corona-Infektion", teilt das Innenministerium mit. Trotzdem gibt sie der Deutschen Presse-Agentur am Vormittag ein Interview. Wieso?

Die Opposition nimmt den fragwürdigen Umstand dankbar auf: "Danke, dass Sie hier sind heute morgen, Frau Faeser", sagt CDU-Chef Friedrich Merz am Mittwoch bei der Generaldebatte im Bundestag, "nachdem Sie sich gestern krankgemeldet haben und in Wiesbaden dpa-Interviews gegeben haben." Zwar sei Faeser wegen ihres frühen Arzttermins im Bundestag entschuldigt gewesen, teilt ihr Ministerium mit. Aber der Verdacht, dass sich die Innenministerin wegducken könnte, ist in der Welt. Dass Faeser auch den zweiten Innenausschuss-Termin zur Causa Schönbohm nicht wahrgenommen hat, dürfte diesen nicht ausgeräumt haben.

Die Angelegenheit war von Anfang an problematisch für Faeser. Im November hatte die Innenministerin den damaligen Cybersicherheitschef wegen seiner angeblichen Russland-Nähe abberufen. Doch die Vorwürfe, über die zuvor die Satiresendung "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann berichtet hatte, ließen sich nicht erhärten. Hat Faeser vorschnell entschieden? Laut "Bild"-Zeitung soll die Ministerin später sogar den Verfassungsschutz nach Informationen zu dem abgesetzten Behördenleiter gefragt haben. Faeser selbst bestreitet, die Behörde gezielt gegen den geschassten Beamten eingesetzt zu haben. Dieser reichte mittlerweile Klage ein – er fordert vom Innenministerium Schadenersatz für seine Absetzung.

Die Union ist empört, schon aus Prinzip: Auch sie hat einen Wahlkampf in Hessen zu bestreiten. Folglich nutzt sie jede Gelegenheit, um Faeser ins Stolpern zu bringen. Zum Beispiel an diesem Donnerstag.

"Offensichtlich wird hier ein Grund vorgeschoben"

Wieder einmal geht es um einen Termin, der für Faeser unvorteilhaft sein könnte: die Regierungsbefragung. Am 27. September soll die Bundesinnenministerin den Abgeordneten Rede und Antwort stehen, sich mit Fragen zu allerhand Themen löchern lassen – kurz vor der Landtagswahl in Hessen, ausgerechnet.

Faeser sagt zunächst ab: Terminschwierigkeiten. Das geht aus einem Schreiben aus dem Kanzleramt an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hervor, das dem stern vorliegt. Es ist auf vergangenen Dienstag datiert. Demnach könne die Bundesinnenministerin aufgrund der Teilnahme am JI-Rat (Justiz und Inneres) der EU nicht an der Regierungsbefragung teilnehmen. Stattdessen soll Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einspringen, der eigentlich erst im Dezember an der Reihe gewesen wäre. Diesen Termin soll nun Faeser bekommen – die Kabinettskollegen tauschen also.

Das empört die Union, aus ihren Reihen wird der Vorwurf eines "Versteckspiels" laut. "Offensichtlich wird hier ein Grund vorgeschoben, um eine Befragung von Frau Faeser durch den Deutschen Bundestag vor der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober zu verhindern", schreibt Hendrik Hoppenstedt, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, an das Kanzleramt. Auch dieses Schreiben, datiert auf vergangenen Mittwoch, liegt dem stern vor. Die Begründung sei "schon im Ansatz nicht akzeptabel", da die besagten Termine nicht kollidieren würden: Die Regierungsbefragung findet am 27. September statt, der JI-Rat am 28. September. Hoppenstedt fordert, dass Faeser "wie festgelegt und geplant" an der Regierungsbefragung teilnimmt.

Hat sich Faeser mit ihrer Ausweichstrategie verzockt? Jedenfalls scheint die Bundesinnenministerin plötzlich doch keine Terminschwierigkeiten mehr zu haben.   

Am Donnerstagmittag teilt ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage des stern zunächst mit, dass derzeit mit dem Kanzleramt geklärt werde, ob Faeser wie ursprünglich geplant an der Regierungsbefragung (am 27. September) teilnehmen könne. Eine halbe Stunde später meldet sich der Sprecher erneut: Faeser wird an der Regierungsbefragung teilnehmen. Auch am JI-Rat am Tag darauf? Davon sei auszugehen, heißt es.

Wo war also das Problem?

Die Antwort kennt wohl nur Faeser. Der Vorfall lässt sie jedenfalls wie eine Getriebene erscheinen, die sich weder als Innenministerin noch als Wahlkämpferin einen Fehler erlauben kann – und damit neue Fehler zu provozieren scheint. Diese Woche war für Faeser jedenfalls eine zum Vergessen.