1. Auf die gute Zusammenarbeit! Aber wo steckt der Kollege?
Friedrich Merz hatte sichtlich Freude daran, was er tags zuvor im Bundestag beobachten durfte – also macht er zunächst eine kurze Rückwärtsrolle, damit es in der langen Haushaltswoche auch ja nicht untergeht: Da dekliniert der Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Ampel-Haushaltsentwurf durch, den Entwurf, auf den man sich nach endlosen Querelen verständigt hatte, und die Ampel verweigert den Beifall? Nur aus den Reihen der FDP gab es Applaus für Lindners Etat gegen "uferlose Schulden" und "strukturelle Mehrausgaben". Die Herzen von Grünen und SPD konnte er damit nicht erwärmen, die der Union hingegen schon. "Nun gibt es zwei Oppositionsführer", sagt Merz mit diebischer Freude in Richtung Regierungsbank: einen in der Regierung (Lindner), einen in der Opposition (Merz). "Auf gute Zusammenarbeit!"
Bedauerlich, dass der neue Quasi-Kollege die Glückwünsche gar nicht mitbekommt: Lindner ist rund 15 Minuten zu spät. Und zunächst wenig an Merz‘ Rede interessiert: Als der Unions-Fraktionschef gegen die "Klassenkampf-Rhetorik" in der Ampel-Steuerpolitik poltert, hält Lindner noch einen Plausch mit dem Kollegen Bundeskanzler.
2. Merz will jetzt mal wirklich Opposition machen
Viel Fantasie war nicht nötig, um sich den Inhalt von Merz‘ Rede im Groben auszumalen: Die Ampel fährt Deutschland an die Wand. Überraschend war da schon eher, mit welcher Schärfe er seine Fundamentalkritik an der Regierung formuliert hat, während er (s)einen Gegenentwurf dazu präsentierte. Die Botschaft: Die Ampel fährt das Land an die Wand – aber die Union führt es zurück in die Spur.
Die 18-minütige Kritik-Kaskade im Schnelldurchlauf: Das "ungeliebte Kind Bundeswehr" bleibe "strukturell unterfinanziert", das Land "erstickt" in Bürokratie – Vorhaben wie das Gebäudeenergiegesetz und die Kindergrundsicherung würden noch mehr Luft nehmen. Die Union würde diese Gesetze daher sofort stoppen. Das Bürgergeld sorge dafür, "dass sich Leistung nicht mehr lohnt", verfrühte Renteneintritte müssten rückgängig gemacht werden.
Die "Verbotspolitik" der Ampel habe für verpasste Klimaziele und verstimmte Bürger gesorgt. "Wenn man dem Klima schaden will, muss man es genauso machen, wie Sie!", schleudert Merz der Regierung entgegen. An dieser Stelle grinst der Kanzler, dreht sich zu seinen Kabinettskollegen um und zieht die Augenbrauen hoch. Hat er das gerade wirklich gesagt?
Kurzum: Was die Ampel da macht, "widerspricht unserem Staatsverständnis", hält Merz fest. An diesem Punkt braucht er es eigentlich nicht mehr zu sagen, tut es aber trotzdem: "Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen uns." Dafür bekommt der Unions-Fraktionschef sogar reichlich Applaus aus Reihen der SPD. Die Botschaft der Genossen: Das ist auch gut so.
3. Ist schon Wahlkampf?
Nach zwanzig Minuten der Dauerschelte darf endlich der Kanzler ans Rednerpult unter der gläsernen Reichstagskuppel treten. Scholz legt die blaue Mappe mit dem Bundesadler ab, schlägt sein Redemanuskript auf – und lässt es erstmal links liegen. Zunächst muss er sich um Merz kümmern. Der Kanzler hat Puls.
"Sie machen Vorschläge, als gäbe es kein Morgen!" ist noch eine der höflicheren Reaktionen von Scholz, die er frei und – für seine Verhältnisse – wild gestikulierend vorträgt. Unterfinanzierte Bundeswehr? Der Kanzler garantiert für "2028, 29, 30, in den 30er Jahren" ausreichend Mittel, um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch ohne das Sondervermögen zu erfüllen. Leistung lohne sich nicht mehr? Scholz hält Merz einen "merkwürdigen Leistungsbegriff" vor, der wohl erst bei einem Jahreseinkommen von 120.000 Euro beginne. Merz‘ "wichtigster Vorschlag", das Renteneintrittsalter zu erhöhen, hält Scholz für eine "Obsession", die es mit ihm nicht geben werde. Da johlt die SPD-Fraktion vor Begeisterung. Ach, und was die angeblich missglückte Energiepolitik durch den Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom betrifft: "Never forget, Sie waren das!", ruft Scholz im Brustton der Überzeugung in Richtung Union. Die Ampel applaudiert.
Der Kanzler redet sich also wieder in Rage, wie schon bei der Generaldebatte im vergangenen Jahr attestiert er Merz mit bemerkenswertem Biss, beim Blick auf die Probleme im Land "schief gewickelt" zu sein. Dieses Mal wirkt es bisweilen so, als teste Scholz schon mal potenzielle Wahlkampfthemen aus, mit denen er seinem möglichen Konkurrenten begegnen könnte.
4. Scholz hat eine Idee
Dann schaut Scholz doch nochmal in sein Redemanuskript, denn er möchte jetzt "ein Angebot" machen – an Bund, Länder, Kommunen und den "sehr geehrten" Herrn Merz: Der Kanzler präsentiert den "Deutschland-Pakt", der die Wirtschaft ankurbeln und das "Bürokratie-Dickicht lichten" soll. Auch der Wohnungsbau, die Modernisierung der Bahn und die Digitalisierung sollen vorangebracht werden. "Die Bürgerinnen und Bürger sind den Stillstand leid", sagt der Kanzler. "Und ich bin es auch."
Das Programm besteht vor allem aus bekannten Reformvorschlägen, die das Kabinett bereits bei ihrem Versöhnungsgipfel auf Schloss Meseberg auf den Weg gebracht hatte. Aber "Deutschland-Pakt" klingt natürlich größer und verbindlicher. Es brauche eine "nationale Kraftanstrengung", mehr "Kooperation statt Streiterei", meint Scholz. Ein cleverer Schachzug: Er gibt sich versöhnlich, streckt der Opposition vermeintlich die Hand aus, bei seinem Regierungsprogramm mitzutun – und macht ihr damit eigentlich ein Angebot, das sie kaum ablehnen kann. Oder ist die Union etwa nicht am Bürokratie-Abbau und zur Stärkung der Wirtschaft interessiert?
5. Die Grünen haben keine Lust zu klatschen
Scholz räumt ein, dass die Regierungsparteien "in den vergangenen Wochen zu viel gestritten" haben – und wird wissen, dass auch der Haushaltsentwurf für 2024 ein zentraler Zankapfel seiner Koalition ist. Der Grundkonflikt, grob gesagt: Die FDP will die Moneten zusammenhalten, SPD und Grüne könnten sich auch Investitionen jenseits der Schuldenbremse vorstellen. Und der Kanzler?
Versucht den Spagat: Nach drei Krisenjahren liege nun ein Haushalt vor, der eine "solide" Finanzierung garantiere, ohne "substanzielle" Investitionen zu vernachlässigen. Vor allem die Grünen überzeugt das rhetorische Kanzler-Kunststück nicht: Einige wenige Abgeordnete klatschen pflichtschuldig, doch ein Großteil der Fraktion behält seine Hände bei sich.