Wie will Olaf Scholz da nur wieder herauskommen? Mit einer leidenschaftlichen, kämpferischen Rede, wie er sie vor einem Jahr gehalten hat? Damals diagnostizierte er Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) mit bemerkenswertem Biss, beim Blick auf die Probleme im Land "schief gewickelt" zu sein.
Oder setzt der Kanzler auf eine Botschaft der Zuversicht, so geschehen im November, und verspricht mit dem Brustton der Überzeugung, dass am Ende schon alles gut gehen werde?
Auf der Hand liegt sie jedenfalls nicht: die große Rede, die den Laden zusammenhält. Und das gestörte Verhältnis zwischen Wählerschaft und Regierung, aber auch innerhalb der Ampel-Koalition zu kitten vermag.
Am Mittwochmorgen (ab 9 Uhr) kommt der Bundestag wieder zur Generaldebatte zusammen. Streng genommen steht der Etat des Kanzleramts zur Diskussion, traditionell zeigt der Kanzler die großen Linien seiner Regierungspolitik auf – und die Opposition rechnet mit dieser ab. Es ist der immer gleiche Ritus, mit dem im politischen Berlin das Ende der Sommerpause und der Beginn der Haushaltsberatungen eingeläutet wird.
Allerdings darf bezweifelt werden, dass es auch in diesem Jahr ähnlich routiniert zugehen wird. Die großen Linien der Regierung: Sie sind auch Konfliktlinien. Und Scholz muss irgendwie einen Konsens finden.
Können sich Kanzler und Koalition zurück kämpfen?
Die Ampel-Koalition startet in die zweite Hälfte ihrer Amtszeit. Die Ausgangslage könnte besser sein. Die Wirtschaft schwächelt, der rechte Rand erstarkt, die Deutschen werden pessimistischer – auch mit Blick auf ihre Regierung. Das Erscheinungsbild der streitlustigen Koalition ist miserabel, beschert ihr abermals neue Negativrekorde. Mittlerweile bewerten drei Viertel der Deutschen ihre Arbeit als (eher) schlecht, seit Monaten bekäme sie den Umfragen zufolge keine Mehrheit zusammen. Der Kanzler wird überwiegend als führungsschwach wahrgenommen und fällt im Beliebtheitsranking sogar hinter Oppositionsführer Merz. Können sich Kanzler und Koalition zurück kämpfen?
Die Ampel-Partner hatten ein besseres Miteinander gelobt, ihnen dürfte vor allem die bittere Bilanz des letzten Sitzungstags vor der Sommerpause in Erinnerung geblieben sein: Zwei Hammelsprünge, ein Ordnungsgeld, schließlich die Beschlussunfähigkeit des Parlaments – und ausgerechnet das Heizungsgesetz, das man nach monatelangem Dauerzoff endlich hinter sich lassen wollte, konnte nicht verabschiedet werden. Karlsruhe hatte der Gesetzgebung im Hauruck-Verfahren einen Riegel vorgeschoben. Stattdessen soll es diesen Freitag ins Ziel gebracht werden.

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Nun, nach acht Wochen des Innehaltens, wird sich zeigen, ob Scholz seiner rauflustigen Regierungsmannschaft ins Gewissen reden konnte, das Gerangel fortan geräuschloser ausgetragen wird – mit "Schalldämpfer", wie Scholz nach der Klausurtagung in Meseberg empfahl. Allzu optimistisch kann er nicht sein. Kurz nach dem Ordnungsruf stellten die Liberalen den Atomausstieg infrage – eine offensichtliche Provokation der Grünen. Die wiederum hatten mit Forderungen nach Investitionen jenseits der Schuldenbremse die Liberalen verärgert. Es ruckelt weiter in der Ampel-Reformwerkstatt.
Und selbst die SPD, die ihr Dasein als Kanzlerpartei diszipliniert hatte, lässt ihre demonstrative Zurückhaltung fallen und muckt gegen Scholz auf. Ein Novum seit der Wahl. Bei ihrer Klausurtagung in Wiesbaden sprach sich die Fraktion für einen Industriestrompreis aus. Auch die Parteispitze und mehrere SPD-Ministerpräsidenten unterstützen Subventionen für energieintensive Branchen – die Scholz als "ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt" abgelehnt hatte. Nur abräumen konnte er die Pläne seiner Genossen nicht. Auch das ist neu im Verhältnis zwischen Kanzler und Kanzlerpartei.
Da hält sogar Scholz, der in der komplizierten Regierungskonstellation stets auf die Rolle des Mittlers und Moderators gesetzt hatte, offenbar einen kommunikativen Kursschwenk für notwendig. In den vergangenen Tagen machte er – jedenfalls für seine Verhältnisse – ungewöhnlich deutlich, wie er selbst zu den Dingen sieht. Die Schuldenbremse: bleibt. Der Industriestrompreis: zu kostspielig. Die Atomkraft: "ein totes Pferd". Insgesamt: Eine klare Ansage vom Kanzler. Auch ein Machtwort?
Das "Regierungsprogramm in Zahlen"
In der Haushaltswoche geht es um mehr als nur um Geld. Es geht um das große Ganze: Wohin will die Regierung? Denn wohin die Milliarden fließen, und wohin nicht, entscheidet darüber, wo die politischen Schwerpunkte der nächsten Monate liegen. Der Etat wird daher auch als "Regierungsprogramm in Zahlen" bezeichnet. An ihm lässt sich der Kurs einer Koalition ablesen – aber auch ihre Konflikte.
Finanzminister Christian Lindner konnte zwar durchsetzen, dass seine Kabinettskollegen von ihren umfangreichen Ausgabewünschen abrücken und sparen. Nächstes Jahr soll der Bund 30 Milliarden Euro weniger ausgeben, um die Schuldenbremse einzuhalten. Aber der Streit ums Geld ist damit nicht beigelegt. Im Gegenteil: Er dürfte mit der Vorlage des Etats für 2024 noch an Fahrt aufnehmen.
So bahnt sich in der Ampel-Koalition ein grundsätzlicher Konflikt über die finanzielle Ausgestaltung des Sozialstaats an. Die FDP will die Kindergrundsicherung als letzte größere Sozialreform dieser Legislaturperiode verstanden wissen, da es nun ums Erwirtschaften statt Geldverteilen gehen müsse. SPD und Grüne sehen Investitionen in den Sozialstaat hingegen als Zukunftsinvestitionen. Wer hat Recht?
Kanzler Scholz muss darauf eine Antwort geben, die alle Seiten beschwichtigt. Schwierig genug. Zumal schon im Frühjahr Streit über die Aufstellung des Haushaltsentwurfs aufkam. Die Eckpunkte von Finanzminister Lindner wollten die Grünen seinerzeit nicht mittragen. Erst auf Nachdruck des Kanzlers konnte der Beschluss im Sommer gefasst werden. Ob die Ampel es ohne weiteren Knatsch bis zur Abstimmung über den Etat im November schafft, kann mit einem Fragezeichen versehen werden.
Vier Tage beugt sich der Bundestag über den Haushaltsentwurf, den Finanzminister Lindner am Dienstag ins Parlament eingebracht hat. Bis einschließlich Freitag werden die einzelnen Etats nun vorgestellt und debattiert.
Traditionell eröffnet der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion die (insgesamt vierstündige) Aussprache am Mittwoch, also CDU-Chef Merz. Dann redet Scholz. Bekanntlich liegen die beiden nicht auf einer Linie, auch nicht in der Wirtschaftspolitik. Aber das dürfte Scholz‘ geringstes Problem sein.