Ampel-Koalition FDP kündigt Sozialreform-Stopp an – und was sagen SPD und Grüne dazu?

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
© Joerg Carstensen / DPA
Nach Ansicht der FDP handelt es sich bei der Kindergrundsicherung um die vorerst letzte große Sozialreform bis zur Bundestagswahl. SPD und Grüne sind anderer Meinung.

Warum es in der Ampel bisweilen etwas lauter zugeht, hat Christian Lindner zufolge einen einfachen Grund: In der Koalition werde nun mal gehämmert und geschraubt. Das führe zu Geräuschen, aber auch zu Beschlüssen, erklärte ein betont hemdsärmeliger FDP-Chef und Finanzminister nach der Klausurtagung auf Schloss Meseberg.

Dass Lindner auch einen Pflock eingeschlagen hat, der kaum zur Beruhigung der Geräuschkulisse beitragen dürfte, ist während des Berichts aus der Reformwerkstatt fast untergegangen.

Zwei Tage zuvor hatte Lindner im Beisein von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) etwas klargestellt. Der Streit um die Kindergrundsicherung ist zwar beigelegt, die Zusammenlegung der Familienleistungen kommt. Aber: Die "umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren", wie Paus sagte, werde auch die letzte sein, schickte Lindner hinterher. Zumindest vorerst: Mehr würde der Haushalt nicht hergeben, sagte der Finanzminister am Montag.

Damit an der FDP-Position kein Zweifel aufkommt, hat Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den Pflock nun noch einmal ein Stück tiefer in den Boden geklopft. "Die Kindergrundsicherung ist die letzte große sozialpolitische Reform dieser Legislaturperiode", sagte er am Donnerstag der "Bild"-Zeitung, fast wortgleich zu seinem Parteichef. Im Angesicht von Inflation und hoher Zinsen dürfe es keine Ausweitung des Sozialstaats geben. "Es muss nun ums Erwirtschaften gehen", forderte Djir-Sarai.

Die Doppel-Botschaft ist klar: Mit dem Geldverteilen ist Schluss, jetzt gilt es die Moneten mit ruhiger (und liberaler) Hand zusammenzuhalten. Ob der Ordnungsruf von den Koalitionspartnern erhört wird, ist allerdings fraglich.

Schon Anfang April hatte FDP-Chef Lindner die Zeit der "reinen Verteilungspolitik" für beendet erklärt, nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) vor einem Schrumpfen der deutschen Wirtschaft gewarnt hatte. Mittlerweile ist aus der Warnung eine Prognose geworden. Was wenig schmeichelhaft für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein mag, dürfte dem Finanzminister in die Karten gespielt haben: Die Vorhersage liefert ihm bei der Aufstellung des Haushalts für 2024 ein zusätzliches Argument, die ausufernden Ausgabenwünsche seiner Koalitionspartner abzuschmettern. Beim langwierigen Ringen um die Kindergrundsicherung hat das offensichtlich funktioniert – gemessen an den hohen Erwartungen, die vor allem die Grünen an die Sozialreform hatten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Allerdings kann Lindner nicht darauf bauen, dass die Koalitionspartner nun Ruhe geben. SPD und Grüne werben für mehr Investitionen (und weniger eisernen Sparzwang), die Ankündigung der FDP keine größeren Sozialreformen mehr anzugehen wollen sie sich nicht zu eigen machen.

Gerade angesichts des zunehmenden Fach- und Arbeitskräftemangels seien Investitionen in den Sozialstaat auch Investitionen in den Wirtschaftsstandort Deutschland, sagte Martin Rosemann zum stern. "Mir wäre übrigens neu, dass der Generalsekretär der FDP einfach so Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag streichen kann", fügte der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion hinzu. Er denke beispielsweise an das Rentenpaket, das in dieser Legislaturperiode "selbstverständlich wie vereinbart" umgesetzt werde. "Meines Wissens nach hat auch die FDP ein großes Interesse an diesem Reformprojekt", sagte der SPD-Abgeordnete.

Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, das Mindestrentenniveau von derzeit 48 Prozent "dauerhaft" zu sichern. Rentenkürzungen und eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters solle es nicht geben. Derzeit erarbeiten Finanzminister Lindner und Arbeitsminister Heil ein Reformkonzept für die langfristige Stabilisierung der Rente. Geplant ist unter anderem, einen künftigen Beitragsanstieg durch Erträge von Anlagen auf dem Aktienmarkt abzufedern. Wann genau ihr Entwurf vorliegt, ist unklar.

Die Grünen sehen derweil eine ganze Reihe von sozialpolitischen Vorhaben, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden und nach ihren Vorstellungen noch umgesetzt werden. Frank Bsirske, Fraktionssprecher für Arbeit und Soziales, nennt ebenfalls die Stabilisierung des Rentenniveaus, aber auch Verbesserungen beim Thema Inklusion oder die Digitalisierung von Sozialleistungen.

Was "große sozialpolitische Reformen" angeht, hat der Grünen-Arbeitsmarktexperte fast nichts auszusetzen: Die zwei im Koalitionsvertrag vereinbarten Großprojekte sind entweder eingeführt (Bürgergeld) oder werden nun umgesetzt (Kindergrundsicherung). Aber: "Auf die dritte und letzte von Lindner und Heil angedachte Sozialreform könnten wir verzichten", sagte Bsirske zum stern. "Wir finden es nicht sinnvoll, dass die Betreuung der Unter-25-Jährigen von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen übergeht." Das verschlechtere die Situation der jungen Menschen und belaste das Budget der Arbeitslosenversicherung.

Das Kabinett hatte die Änderung mit dem Beschluss zum Haushaltsfinanzierungsgesetz im August auf den Weg gebracht. Demnach sollen junge Arbeitslose ab 2025 nicht mehr von den Jobcentern sondern von den Arbeitsagenturen betreut werden. Das Vorhaben ist auch deshalb umstritten, weil es offenbar dazu dient, die Sparvorgaben von Finanzminister Lindner zu erfüllen. Die Verlagerung soll den Etat des Arbeitsressorts um rund 900 Millionen Euro entlasten – letztendlich auf Kosten der Arbeitslosenversicherung, die durch Beiträge von Arbeitnehmern und -gebern getragen wird.

Deutlich leiser dürfte es in der Ampel-Reformwerkstatt daher auch künftig nicht zugehen. Nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause kommt der Bundestag in der ersten Septemberwoche wieder zusammen. Zunächst soll es in der Haushaltswoche ums Geld gehen.