Da sitzen sie nun. Lisa Paus und Christian Lindner. Wochenlang haben sie gestritten, viele Stunden musste der Kanzler vermitteln. Und jetzt präsentieren sie in der Bundespressekonferenz ihnen Kompromiss zur Kindergrundsicherung. Sieht man an ihren Auftritten Spuren der Schlacht?
Erstmal: Betonte Lässigkeit. Lindner und Paus nehmen lächelnd Platz und zwar nebeneinander. Sozialminister Hubertus Heil, der für die SPD als dritte Ampel-Partei mit dabei ist, sitzt nicht zwischen ihnen, keine Pufferzone nötig. Gleich zu Beginn erklären sowohl Paus als auch Lindner, wie konstruktiv sie die gemeinsamen Gespräche in den letzten Tagen empfunden hätten. Alles dufte, liebe Leute.
Wer ist hier ironisch?
Doch so ganz nimmt man ihnen die Lässigkeit dann doch nicht ab. Lindner vermeidet es, Paus anzusehen. Er schaut starr geradeaus oder in die entgegengesetzte Richtung und wirkt beinahe genervt, während die grüne Ministerin die Eckpunkte des Gesetzesentwurfes zusammenfasst. Sie spricht von einem "Paradigmenwechsel", einem "wichtigen Sozialpaket". Als Paus erklärt, wie stark sie sich für ihre Standpunkte eingesetzt habe in den letzten Tagen, kann sich der Finanzminister sogar ein ironisches Grinsen nicht verkneifen.
In der vergangenen Woche hatte Olaf Scholz beide Kabinettskollegen einige Mal ins Kanzleramt geladen. In Sitzungen, die mitunter mehrere Stunden dauerten, musste der Kanzler wohl tief in die Streitschlichtungs-Trickkiste greifen. Erst gestern Abend soll es endlich die Einigung gegeben haben, den Kompromiss. Paus und Lindner sehen abgekämpft und müde aus, aber die Familienministerin versucht zumindest, Freundlichkeit zu mimen. Während Lindner die finanziellen Details der Kindergrundsicherung erklärt, bleibt sie ihm zugewandt, lächelt, nickt. Als er sagt, er sei zufrieden, lehnt sie sich in seine Richtung und sagt: "Das kannst du auch sein." Ist das Ironie? Oder das Eingeständnis ihrer Niederlage?
Nicht genug, um Kinderarmut zu beenden
Jedenfalls ist es Paus, die in der Bundespressekonferenz die schwierigere Nachricht zu erklären hat. Sie hat durch ihr Veto des Wachstums-Chancen-Gesetz nicht ihre ursprünglich geforderten 12 Milliarden, sondern nur 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung erkämpft. Ob das reicht, um Kinderarmut zu beenden? Paus schweigt, zögert, sagt dann: "In Übereinstimmung mit der Wissenschaft ist klar, dass es mehr bräuchte." Aber das Gesetz sei ein guter Schritt. Lindner verzieht keine Miene.
400 Millionen Euro mehr, sonst bleibt der Gesetzesentwurf überwiegend bei dem, was schon vor Paus‘ Veto und zwei Wochen Verhandlungen im Papier stand. Ab 2025 soll die Kindergrundsicherung aus dem Kindergeld und einem alters- und einkommensabhängigen Kinderzusatzbeitrag bestehen. Außerdem soll es ein sogenanntes "Digitales Kinderchancenportal" geben, über das Familien ihre Ansprüche unkompliziert überblicken können. Das Soziokulturelle Existenzminimum soll neu berechnet werden. Mehr Geld gibt es für Alleinerziehende, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

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Das wirksamste Mittel gegen Kinderarmut sei es, Eltern Arbeit zu beschaffen, sagt der Finanzminister. Deswegen blieben Arbeitsanreize erhalten – sprich: Keine generellen Leistungserhöhungen für erwerbslose Eltern. Lindner hat die Schlichtungsgespräche wohl auch genutzt, dem Gesetz noch seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. "Fördern durch Fordern" sei das Prinzip, das dem Entwurf zu Grunde liege, erklärt er. Man kann das als kleine Gemeinheit verstehen, denn "Fördern und Fordern" war einst der Leitsatz der rot-grünen Hartz-Reformen. Und dann sagt Lindner noch: "Mit Blick auf den Haushalt stelle ich die Prognose, dass die Kindergrundsicherung erstmal die letzte größere Sozialreform sein wird."
Der Mensch gewordene Wattebausch
Hubertus Heil gibt an diesem Tag den Mensch gewordenen Wattebausch: "Es geht doch nicht darum, wer hier heute der Verlierer ist, sondern darum, dass die Kinder in diesem Land heute gewonnen haben." Er und sein Ministerium hätten sich bemüht, mit beiden Parteien eine konstruktive Lösung zu finden, um für die Kinder das Beste herauszuholen. Paus nickt heftig, legt die Hände aneinander zu einer dankenden Geste, Lindner lächelt erst Hubertus Heil, dann Lisa Paus zu. Dann doch.
Zum Schluss wird Paus noch gefragt, ob denn jetzt endlich das Wachstums-Chancen-Gesetz kommen werde. "Na, das müssen sie den Finanzminister fragen", sagt Paus. Lindner lacht und sagt: "Wieso, ohne dich wäre das doch schon lange durch! Du bist die Einzige hier, die dazu was sagen kann." Paus lacht auch, als hätte er etwas Witziges gesagt – nein, sie habe nun nichts mehr gegen das Gesetz. Die Ampel versucht es mal mit Humor. Vielleicht trägt sie das auch durch Meseberg.