"Darauf können wir stolz sein", findet Lisa Paus, die grüne Familienministerin. Auch er sei "natürlich auch zufrieden“, sagt Christian Lindner, der liberale Finanzminister. Und bevor jemand erbsenzählend nachrechnet, wer sich wohl mehr durchgesetzt habe, sagt Hubertus Heil, der SPD-Arbeits- und Sozialminister: "Es haben die Kinder gewonnen!“ Amen.
Sollte der Kanzler unverhofft Zeit gefunden haben, die Präsentation der nächtens geeinten Eckpunkte zur geplanten Kindergrundsicherung am Bildschirm zu verfolgen, er wäre sicher sehr zufrieden gewesen. Scholz hat die Kontrahenten am Wochenende regelrecht zu einer Einigung gezwungen, gerade rechtzeitig vor der morgen beginnenden Kabinettsklausur in Meseberg. Jetzt ist mal Ruhe.
Für den Moment. Höchstwahrscheinlich wird es nur ein kurzer.
Kindergrundsicherung: Eckpunkte, mehr nicht
Immerhin so viel ist seit heute Nacht sicher: Nach monatelangen Grundsatzstreits, bei denen sich zuletzt vor allem Lindner und Paus ineinander verkeilt hatten, soll die "größte sozialpolitische Reform seit Jahren“ (Paus) angegangen werden. Das ist eine gute Nachricht für Millionen sozial schwache Familien. Nur sollten die sich besser nicht zu früh freuen. Bislang wurden nicht mehr als Eckpunkte beschlossen. Bis zu einem fertigen Gesetz ist es noch ein verdammt weiter Weg.
Schwer zu sagen, wer sich am Ende mehr durchsetzen wird. Gemessen an den zwölf Milliarden Euro, die Paus ursprünglich für ihre Kindergrundsicherung gefordert hatte, liegen die nun vereinbarten 2,4 Milliarden Euro auffällig nah an jenen zwei Milliarden, die Lindner zuletzt als "Merkposten“ in seiner Haushaltsplanung für das Jahr 2025 vorgesehen hatte.
Aber gemessen an der Skepsis, die den Finanzminister zuletzt ganz grundsätzlich befallen hatte, kann sich Paus zugutehalten, überhaupt eine Art Kindergrundsicherung durchgesetzt zu haben.
Nur wie weit wird das reichen? Man einigt sich auf ein Projekt, das nur vermeintlich ein gemeinsames ist. Schon das ist ähnlich wie beim Gebäudeenergiegesetz. Die Grünen verstehen darunter auch eine Anhebung der Sätze, die Liberalen in erster Linie eine Bündelung bestehender Leistungen mittels Digitalisierung.
Kann das gutgehen?
Paus betont, es sei kein Geheimnis, dass sie "einen noch größeren Schritt für notwendig erachte“. Lindner betont: "Schauen Sie auf den Text. Wir verbessern einzelne Leistungen – das ist der Text, auf den wir uns geeinigt haben.“ Man darf das sehr wohl als Hinweis darauf verstehen, wie es wohl unweigerlich weitergehen wird: mit einer ausführlichen Textexegese, gefolgt von kritischer Analyse und weitschweifiger Interpretation der Eckpunkte.
Das weckt unangenehme Erinnerungen. Man ahnt, wohin die Reise geht, weil man sie allzu gut kennt aus den wiederkehrenden Runden zu Robert Habecks Heizungsgesetz. Mit jeder neuen Fertigungsstufe kam es zu neuem Streit, brachte erst eine neue tagelange Debatte gefolgt von stundenlangen Verhandlungen eine allenfalls vorübergehende Einigung. Bis zur nächsten Fertigungsstufe, auf der sich zur Überraschung aller herausstellte, dass doch noch nicht alles restlos geklärt war, weshalb es erneut hieß: Zurück in die Montagehalle. Und nur zur Erinnerung: Noch immer ist dieses Gesetz nicht beschlossen – also das Gebäudeenergiegesetz.
"Wir machen nicht GEG 2.0“
"Wir machen nicht GEG 2.0“, verspricht die Familienministerin. Und Lindner nickt dazu, weil es diesmal ja ganz ohne Protokollnotizen durchs Kabinett gehen soll. Nur was genau spricht eigentlich dafür?
Die Ressortabstimmung steht noch aus, die Länder moppern bereits, alles sei so bürokratisch, die SPD mahnt Präzisierungen an, den Grünen wird die Höhe wohl niemals reichen. Und wer weiß, womöglich tritt noch eine Kinderrebellin aus der Kulisse.
Es mag dem Kanzler nicht gefallen, aber es spricht viel dafür, dass die Ampelvertreter ihr erprobtes Verfahren auch bei diesem Vorhaben zur Anwendung bringen werden. Mit anderen Worten: Dies war nicht der letzte Streit darum. Es war noch nicht mal der vorvorletzte.