In Nordrhein-Westfalen fallen viele Corona-Einschränkungen schon ab diesem Freitag weg – und das, obwohl sich die ansteckendere Delta-Variante deutschlandweit verbreitet und laut Robert-Koch-Institut (RKI) hierzulande inzwischen zur vorherrschenden Virus-Mutation geworden ist.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte dazu am Mittwoch die sogenannte "Inzidenzstufe Null" für sein Bundesland vor, die eine Art Fahrplan für Lockerungen bedeutet. Die Stufe greift, sobald Kreise oder kreisfreie Städte an fünf Tagen hintereinander höchstens zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen aufweisen. Das bedeutet, dass dann sehr viele Corona-Regeln nicht mehr gelten. Beispielsweise müssen keine Masken mehr getragen werden – bis auf in wenigen Bereichen wie dem Einzelhandel, in Arztpraxen, Schulen, im öffentlichen Nahverkehr oder in Taxis.
NRW prescht bei Corona-Lockerungen vor
NRW lockert damit deutlich früher als andere Bundesländer und auch zeitiger als geplant. Bislang war mit einer Aufhebung mancher Einschränkungen erst für Ende Auguste gerechnet worden.
Nun jedoch geht es deutlich schneller im bevölkerungsreichsten Bundesland: Die konservativ-liberale Landesregierung will möglichst rasch zur Vor-Pandemie-Normalität zurückkehren, denn insgesamt sind die Corona-Zahlen niedrig. Laumann begründete die Entscheidung auch damit, dass die Zahl schwerer Krankheitsverläufe sinke und es weniger Krankenhauseinweisungen und Intensivbehandlungen wegen Corona gebe.
Die neue Corona-Schutzverordnung sieht eine weitreichende Öffnung vieler Lebensbereiche vor. Erlaubt sind dann wieder Diskotheken, Sportveranstaltungen, Musikfestivals und Volksfeste. In vielen Bereichen fallen zudem Kontaktbeschränkungen oder Nachverfolgungspflichten weg.
Die Abstandsregeln beispielsweise sind im privaten Umfeld nur noch als Empfehlung zu verstehen, berichtet "RP-Online" und zählt die neuen Regelungen ausführlich auf. Es müssten in der Gastronomie keine Kontaktdaten mehr erfasst werden – in Hotels und in der Touristik bleibe die Regelung aber bestehen. Generell möchte die Landesregierung ein "Leben wie vor Corona" ermöglichen, wie Laumann betonte.
Für viele Beobachter kam die Ankündigung am Mittwoch überraschend, sorgt die Delta-Variante des Coronavirus derzeit doch für Verunsicherung. Zuletzt hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Hoffnung auf eine bundesweite schnelle Aufhebung aller Corona-Lockerungen gedämpft und damit seinem Kabinettskollegen, Außenminister Heiko Maas (SPD), widersprochen, der eben jenes angeregt hatte. Angesichts niedriger Infeltionszahlen könne man die Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger nicht mehr rechtfertigen, lautet das Argument der Lockerungs-Befürworter.
Karl Lauterbach kritisiert Corona-Politik in NRW
Am Donnerstag stufte dann auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach den Vorstoß aus NRW als verfrüht ein: "Wir sind in einer Phase, in der die Fallzahlen wieder steigen und sich der Impffortschritt verlangsamt. Der Zeitpunkt der Lockerungen hat mich überrascht, ich hätte einen späteren Zeitpunkt besser gefunden", sagte Lauterbach im Radioprogramm WDR 2.

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Er hätte sich gefreut, "wenn wir mit dem Impfen weiter gewesen wären", so Lauterbach. "Nun werden wir im Herbst eine größere Gefahrenlage haben", fürchtet der Gesundheitsexperte. Auf die Frage, wie man sich nun am besten verhalte, sagte er: "So viel wie möglich draußen machen und drinnen vorsichtig sein: Maske tragen und Abstand halten."
Am Donnerstagmorgen lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen bei 5,7 und damit um 0,1 niedriger als am Vortag, wie aus Daten des RKI hervorgeht. NRW-Gesundheitsminister Laumann appellierte dringend an die Menschen, sich impfen zu lassen. "Die vierte Welle wird auf uns zukommen", sagte er im WDR.
In NRW wird die aktuelle Lage aber ebenfalls genau beobachtet. Laumann habe mehrfach betont, das die Lockerungen zurückgenommen würden, wenn die Infektionszahlen steigen, so "RP-Online". Auch das Impfen müsse weiter forciert werden. Bis Herbst solle jeder Bürger in NRW ein Impfangebot bekommen. Es gebe in der kommenden Woche noch mehr als 300.000 freie Termine.
Quellen: "RP Online", "Tagesschau.de", AFP

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