Aus Protest gegen ihre wirtschaftliche Situation wollen zehntausende niedergelassene Ärzte nach Angaben eines Ärztevereins bis Ende der Woche ihre Praxis schließen. In der Branche wurden aber Zweifel am Zustandekommen einer breiten Protestfront bei den rund 100.000 Praxen in Deutschland laut. Konkrete Angaben gab es zunächst nicht. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnte unterdessen vor fortschreitendem Medizinermangel.
"Wir rechnen damit, dass bis 2012 rund 34.000 niedergelassene Ärzte altersbedingt ihre Praxistätigkeit aufgeben werden", sagte KBV-Chef Andreas Köhler in Berlin. Fast jeder fünfte niedergelassene Arzt in Deutschland befinde sich derzeit kurz vor dem Ruhestand. Unterstützung der Politik sei nötig. "Denn der drohende Ärztemangel ist letztlich eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft." Die geplante Honorarreform 2009 müsse kommen.
Gerade die Versorgung in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands sei bereits heute stark beeinträchtigt. Um dem auf dem Lande bereits heute spürbaren Mangel an niedergelassenen Ärzten schneller begegnen zu können, hat der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen eine neue Richtlinie beschlossen. Danach soll einer Unterversorgung mit Haus- und Fachärzten in bestimmten Regionen mit finanziellen Anreizen entgegengewirkt werden.
"Der Nachwuchs bricht uns weg"
Dennoch skizzierte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg Dietrich Hoppe, ein düsteres Bild. Ausreichender Nachwuchs sei weder im ambulanten noch im stationären Bereich in Sicht. "Der ärztliche Nachwuchs bricht uns weg", beklagte Hoppe. In den Ruhestand gehende Mediziner fänden aus Angst vor finanziellem Ruin auch für gut gehende Praxen keine Nachfolger. Mit dem geplanten Gesundheitsfonds drohten weitere Einbußen bis zu 30 Prozent. Mit der Protestwoche gäben die Betroffenen einen kleinen Vorgeschmack darauf, was passiere, wenn eines der besten Gesundheitssysteme der Welt mutwillig zerschlagen werde.
Gelassen reagierte dagegen die Bundesregierung auf die Ärzteproteste. Die Sprecherin des Gesundheitsministeriums, Dagmar Kaiser, sagte, wenn ein Mediziner meine, seine Praxis schließen zu können, sei das seine Entscheidung. Er müsse mit Honorareinbußen rechnen. Allerdings passe nicht zusammen, dass die an den Protesten teilnehmenden Ärzte vorgäben, die medizinische Versorgung sicherstellen zu können und andererseits von Ärztemangel sprächen.
Auch die Sozialdemokraten halten die Ärzteproteste für unbegründet. "Dort, wo vernünftigerweise eingespart wird, nämlich bei den Arzneimitteln, sind die Ärzte überhaupt nicht betroffen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Elke Ferner, der "Saarbrücker Zeitung". Die Ärzte müssten sich darüber im Klaren sein, dass sie einen Versorgungsauftrag für die Patienten hätten. Außerdem seien die Verhandlungen über das neue ärztliche Honorarsystem auf gutem Wege. "Vor diesem Hintergrund halte ich die Ärzteproteste nicht für angebracht", sagte Ferner.
Bis zu 40.000 teilnehmende Ärzte
Der Verein "Freie Ärzteschaft" hatte die niedergelassenen Ärzte zur Praxisschließung nach Ostern aufgerufen. Ein Sprecher des in Abgrenzung zu den großen Ärzteorganisationen gegründeten Vereins sagte, Bilanz könne erst Mitte der Woche gezogen werden. Der Verein erwarte bis zu 40.000 teilnehmende Ärzte. Er begründete den Protestaufruf damit, dass Politik und Gesundheitskonzerne die gesamte Versorgung in Kliniken und Versorgungszentren verlegen wollten.
Zunächst wurden keine Lücken in der Patienten-Versorgung bekannt. "Wir haben auch von unseren Kreisstellen keine Informationen, dass es irgendwo Schwierigkeiten gibt", sagte eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. In der Vergangenheit waren schwerpunktmäßig Ärzte in Nordrhein-Westfalen Aufrufen des hier ansässigen Vereins gefolgt. Auch aus anderen Bundesländern gab es keine Angaben über Schließungen. In der Branche war man dem Vernehmen nach skeptisch, dass die "Freie Ärzteschaft" über die Ressourcen verfügt, um allein einen Protest zu organisieren, der mit den Aktionen 2006 gegen die Gesundheitsreform vergleichbar ist. In so einem Fall müssten zum Beispiel aufwendige Vertretungspläne erstellt werden.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Bei der KBV und der Bundesärztekammer hieß es, einen Überblick über den Umfang von Praxisschließungen habe man nicht. Sicherlich seien nicht nur viele Patienten, sondern auch viele Ärzte im Osterurlaub, sagte KBV-Sprecher Roland Stahl.