Die Anspannung war fast mit Händen zu greifen. Knapp eine halbe Stunde dauerte die Pressekonferenz von Kanzler und türkischem Präsidenten. Und gefühlt jede Sekunde lag ein Eklat in der Luft. In beinahe jeden Satz mischte Recep Tayyip Erdogan eine Portion Provokation - und ging doch nicht so weit, dass Olaf Scholz hätte widersprechen müssen.
Dem Kanzler wiederum gelang es, den deutschen Rückhalt für Israel klar auszusprechen, die Differenzen mit Erdogan deutlich zu machen – und trotzdem als ein Gastgeber aufzutreten, dem das Gespräch mit seinem Besucher wichtig ist. Es war ein hartes Stück Arbeit für Olaf Scholz, aber zumindest diese Pressekonferenz mit Erdogan kann er als Erfolg verbuchen.
Der Präsident riss sich zusammen
Von diesem Auftritt hing viel ab für den Kanzler. Nach den verbalen Attacken Erdogans auf Israel in den vergangenen Wochen hatte Scholz Forderungen abprallen lassen, den türkischen Präsidenten gar nicht erst zu empfangen. Erdogan hatte Israel als Terrorstaat bezeichnet und die Hamas als Befreiungsarmee. Der öffentliche Auftritt musste legitimieren, dass es sich trotz allem Ärger lohnt, mit Erdogan zu sprechen. Vor der Presse musste Scholz seine Entscheidung legitimieren, den Gast nicht auszuladen. Scholz hätte es sich nicht leisten können, ein zweites Mal falsch zu reagieren, wie es ihm beim Besuch des Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde passiert war. Erdogan hätte den Kanzler also sehr schlecht aussehen lassen können, wenn er seine Tiraden wiederholt hätte. Hat er aber nicht. Der Präsident riss sich zusammen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Die distanzierte Höflichkeit des Kanzlers
Natürlich ist es trotzdem schwer erträglich, wenn Erdogan die israelischen Geiseln der Hamas nur in einem Nebensatz erwähnt. Wenn er Ursache und Wirkung des Kriegs faktisch umkehrt. Wenn er das Selbstverteidigungsrecht Israels bestreitet, indem er sagt, das Bombardement von Krankenhäusern stünde nicht in der Thora. Aber indem er mit jedem Gedanken, ja mit jedem Wort hart an die Grenze des Tolerierbaren ging, ohne diese Grenze zu überschreiten, wurde auch offenkundig, dass Erdogan eine weitere Verschlechterung in den deutsch-türkischen Beziehungen nicht riskieren wollte.
Olaf Scholz zeigte sich distanziert-höflich, ohne zu nachgiebig oder gar devot zu erscheinen. Er würdigte zurecht die Vermittlung Erdogans beim Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine. Es klang fast wie eine Ermutigung an die Adresse des türkischen Präsidenten, auch im Krieg zwischen Israel und der Hamas eine moderatere Rolle zu spielen. Dann aber betonte der Kanzler das Existenzrecht Israels, verurteilte den Hamas-Angriff als barbarisch und forderte die Freilassung der Geiseln. Er zeigte Mitgefühl für das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung, aber nicht ohne unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass auch diese Menschen faktisch Geiseln in der Hand der Hamas sind.
Dass Erdogan am Ende einen deutschen Journalisten für dessen Frage beschimpfte, machte deutlich, dass seine Nerven nach dieser halben Stunde blanker lagen als die des Kanzlers. Der stand mit unbewegtem Gesicht daneben. Fast möchte man sagen: souverän.