Rauchverbote in Hessen Eine Frage von Sein oder Nichtsein

  • von Sebastian Christ
Zumindest in Sachen Rauchverbot ist Hessen Vorreiter: Seit 1. Oktober darf dort - mit Ausnahmen - in Gaststätten nicht geraucht werden. Auch wenn sich viele Wirte offenbar an die neue Realität angepasst haben, gehen andere jetzt auf die Barrikaden - sie wähnen tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr.

Der erste Eindruck: In Hessen hat jeder Wirt nach drei Monaten des so genannten "Nichtraucherschutzes" seinen ganz eigenen Umgang mit dem Rauchverbot in Kneipen und Restaurants gefunden. Einige plakatieren stolz die gebrochene Kippe als Symbol der neuen Zeit, zum Beispiel in Marburg. Andere nutzen mehr oder minder offensiv die Ausnahmen des Gesetzes: Ein Wirt im nordhessischen Frankenberg hat seinen Abstellraum zum Hauptausschanksaal erklärt und lässt seine Gäste im Vorderraum weiter rauchen. Sein Kollege einige Straßen weiter hat eine skurril anmutende Kammer mauern lassen, in dem man die Raucher durch große Fenster wie im Aquarium betrachten kann. Fast scheint es, als sei das Rauchverbot schon nach drei Monaten zur Normalität geworden. Viel Geschrei um nichts also?

"Viele Wirte glauben, dass sie den Winter nicht überstehen"

Keineswegs. Denn für einige Aktivisten steht die große Auseinandersetzung erst noch bevor. Geht es etwa nach dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), dann ist der Kampf gegen das hessische Nichtraucherschutzgesetz noch lange nicht verloren. Momentan betreibt der Verband massive Lobbyarbeit. Kernbotschaft: Vor allem die Einraumbetriebe sind durch das Gesetz in ihrer Existenz bedroht. "Man kann davon ausgehen, dass 50 oder 60 Prozent der Einraumbetriebe unter massiven Umsatzeinbußen leiden", sagt etwa Clauss Tiemeyer, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Hessen. "Die Wirte fürchten um ihre Existenz, viele glauben, dass sie die Wintermonate nicht überstehen."

Die Industrie- und Handelskammer Kassel hat nach Inkrafttreten des Gesetzes im Oktober 1400 Wirte in Nordhessen gefragt, von denen 280 Auskunft über ihre Umsatzentwicklung gaben. Die Zahlen sind bemerkenswert: Fast die Hälfte der Wirte klagt schon jetzt über einen Umsatzeinbrauch von mehr als 25 Prozent. Und 64 Prozent der Befragten erwarten, dass die Einnahmen in Zukunft noch weiter sinken werden. Befürworter des Rauchverbots hatten argumentiert, dass die Betriebe mittelfristig Mehreinnahmen erzielen würden, weil Nichtraucher verstärkt Gaststätten, Restaurants und Kneipen frequentieren würden.

Zwischen 3000 und 5000 Arbeitsplätze in Gefahr

Tiemeyer schätzt, dass es etwa zwischen 1000 und 2000 Einraumkneipen in Hessen gibt. Die Mehrzahl sei direkt in ihrer Existenz bedroht. Der Dehoga wagt keine Prognose, was die Arbeitsmarktentwicklung im hessischen Gaststättengewerbe betrifft: Aber rechnet man neben den Wirtsehepaaren noch ein bis zwei Aushilfskräfte pro Betrieb mit, dann sind demnach wohl allein zwischen Neckar und Weser 3000-5000 Arbeitsplätze in Gefahr.

Der Hessische Hotel- und Gaststättenverband fordert, den Wirten die Wahl zu lassen, ob sie eine Raucher- oder Nichtsraucherkneipe betreiben. Kritiker bemängeln allerdings, dass dies vor dem allgemeinen Rauchverbot auch schon möglich war. Die Unterstützung für den Nichtraucherschutz war damals gering. Kaum ein Gastwirt hat damals seinen Betrieb freiwillig als Nichtraucherkneipe gekennzeichnet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Im Stadion darf gequalmt werden

Das hessische Gesetz gilt freilich noch als eines der liberaleren in Deutschland. In Bierzelten darf geraucht werden - anders als in Bayern. Auch die Ausweisung von baulich abgetrennten Raucherräumen ist möglich. Und überall, wo "der Himmel offen ist", darf ohnehin weiter gequalmt werden, erklärt die Landesregierung. Beispiel Commerzbank-Arena in Frankfurt: Selbst wenn das Lamellendach geschlossen ist, gilt dort kein Rauchverbot, weil der Bau grundsätzlich als nach oben hin geöffnet gilt.

Das hessische Sozialministerium bewertet die ersten drei Geltungsmonate des Nichtraucherschutzgesetzes als Erfolg. "Es gab viele Anfragen von Bürgern und Gastwirten, aber selbst zum Anfang waren alle Wortmeldungen dazu sehr sachlich. Eine deutliche Mehrheit nimmt das Gesetz positiv auf, und das ist schon eher selten bei neuen Gesetzen", sagt Franz-Josef Gemein, Sprecher des Sozialministeriums. "Im Bereich der Restaurants war das Rauchverbot kein Thema, da wird es bereits voll akzeptiert." Dass es bei den Einraumbetrieben zu Problemen kommt, räumt aber auch Gemein ein.

Regierung schließt Nachkorrektur nicht aus

Trotzdem: Eine Nachkorrektur des Gesetzes schließt das hessische Sozialministerium aus. "Man kann vorher diskutieren: Will man ein Nichtraucherschutzgesetz oder will man keins. Aber wenn es erst einmal beschlossen ist, kann man nicht sagen: Das darf jeder selbst entscheiden", sagt Gemein. "Das war schließlich auch schon vor dem Nichtraucherschutzgesetz so. Und da muss man einfach sagen, dass die Selbstverpflichtung der Gaststätten einfach nicht funktioniert hat." Ob das Gesetz Arbeitsplätze in der hessischen Gastronomie kosten, mag Gemein noch nicht abschätzen. "Das kann bis jetzt niemand bewerten, weder wir noch der Dehoga."

Kurz vor Weihnachten hat ein baden-württembergischer Gastwirt, stellvertretend für andere Mitglieder des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Einige Frankfurter Verbandskollegen haben bereits angekündigt, sich dem Verfahren anzuschließen. Ihr Argument: Wenn Gastwirte gegen ihren Willen gezwungen werden, ein staatlich angeordnetes Rauchverbot in ihrer eigenen Kneipe durchzusetzen, verletzt das ihr Grundrecht auf Eigentum. Experten geben der Klage einige Chancen, der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen.

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