Rechtsradikalismus "Von der Leyen unternimmt zu wenig"

Im stern.de-Interview wirft SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen der CDU-Ministerin Ursula von der Leyen vor, sich nicht für das Thema Rechtsradikalismus zu interessieren.

Die NPD hat in Mecklenburg-Vorpommern 7,2 Prozent erzielt. Das ist doch gar nicht so schlimm wie befürchtet? Für die Demokratie ist es ein entsetzliches Ergebnis, dass diese rechtsradikale Partei in einen Landtag eingezogen ist. Deswegen will ich nicht darüber diskutieren, ob das Ergebnis nun schlechter oder besser ist, als man erwarten konnte. Es ist erschreckend genug. Die NPD hat in Mecklenburg-Vorpommern mit SA-Methoden Wahlkampf gemacht. NPD-Anhänger haben politische Gegner eingeschüchtert. Sie haben Gewalt angedroht und sie auch angewandt. Alle demokratischen Parteien sind nun aufgefordert, neu darüber nachzudenken, was man im Kampf gegen Rechtsradikalismus gemeinsam unternehmen kann.

Wer trägt die politische Verantwortung für diesen Erfolg der NPD?

Ich halte nichts davon, jetzt Verantwortung hin und her zu schieben. Aber wir müssen Konsequenzen ziehen. Und eine Konsequenz ist, dass Frau von der Leyen aus dem Tiefschlaf erwacht. Sie muss in den nächsten Tagen dafür sorgen, dass die zugesagten Gelder für die Strukturprojekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus freigegeben werden.

Zur Person

Niels Annen, 33, ist Mitglied des SPD-Parteivorstands und Leiter der "Projektgruppe gegen Rechtsextremismus." Seit 2005 sitzt der ehemalige Juso-Chef für den Hamburger Wahlkreis Eimsbüttel im Bundestag.

Aber Ministerin von der Leyen hat doch am Sonntag für 2007 ein neues Programm gegen Rechtsradikalismus mit einem Gesamtvolumen von 19 Millionen Euro versprochen. Reicht Ihnen das nicht? Sie hat nur das referiert, was wir im Koalitionsausschuss beschlossen haben, nämlich dass die 19 Millionen Euro für die Arbeit gegen Rechtsextremismus ausgegeben werden. Ihr Ministerium will ein völlig neues Programm konstruieren, was vermutlich erst im Mai oder Juni nächsten Jahres antragsfähig ausgearbeitet sein wird. Von Ende bis Mitte nächsten Jahres müssen die bisherigen Projekte ihre Arbeit einstellen, weil keine Finanzierung gesichert ist. Schon jetzt müssen viele Einrichtungen Räumlichkeiten abwickeln oder Mitarbeiter entlassen. Dazu gehört die Opferberatung. Dazu gehört die mobile Beratung. Frau von der Leyens Ministerium hat nicht dafür gesorgt, dass dieses Problem gelöst wird, obwohl die SPD-Bundestagsfraktion konkrete Vorschläge unterbreitet, wie diese haushaltsrechtlichen Probleme gelöst werden können. Diese Projekte brauchen kurzfristige finanzielle Perspektiven. Wenn von der Leyen das nicht kann, wird sich der Bundestag darum kümmern müssen.

Die Bundesregierung unternimmt Ihrer Ansicht nach nicht genug gegen Rechtsradikalismus? Die Koalitionsparteien haben sich auf diesen Schwerpunkt verständigt, aber das Ministerium ist nicht in der Lage oder politisch nicht willens, dieses Vorhaben umzusetzen. Frau von der Leyen unternimmt nicht genug gegen den Rechtsradikalismus. Ich habe den Eindruck, dass sie sich nicht für das Thema interessiert. Das ist gerade in Anbetracht des Wahlerfolgs der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, der leider absehbar war, für mich völlig inakzeptabel. Deshalb wird die SPD sich auch in den Gremiensitzungen der nächsten Tage mit diesem Thema befassen.

Ist das Erstarken der NPD in Mecklenburg-Vorpommern eine Reaktion auf das schlechte Erscheinungsbild der großen Koalition? Das ist eine verkürzte Sicht der Dinge. Wir hatten Rechtsradikale zu unterschiedlichen Zeiten in deutschen Parlamenten, ohne dass es eine große Koalition gegeben hätte. Es wäre zu einfach zu sagen, die große Koalition stärkt die politischen Ränder. Die Welt ist nicht so einfach. Und im Übrigen ist dies auch keine Ausrede dafür, neonazistische Parteien zu Wählen.

Wie wollen Sie denn als Volkspartei SPD die enttäuschten Wähler zurückgewinnen? Es gibt berechtigte Kritik an der großen Koalition. Man darf, und das sage ich durchaus selbstkritisch, keine Versprechen machen, die nicht einzulösen sind. Aber Enttäuschung gegenüber der Regierungspolitik ist kein Grund, neonazistische Parteien zu wählen, in diesem Fall sogar neonazistische Schläger. Die gehören nicht in die Parlamente, die gehören vor Gericht. Die Tatsache, dass die NPD nicht verboten worden ist, bedeutet nicht, dass sie eine demokratische Partei ist.

Interview: Florian Güßgen