Die deutsche Bildungsszene ist alarmiert. Der Wissenschaftsstandort Deutschland sei gefährdet. Es werde ein "falsches Signal an Jugendliche" gegeben, tadeln Hochschulrektoren und die Lehrer-Gewerkschaft GEW. Grund düsterer Prognosen ist der Plan der rot-grünen Koalition, Besser-Gebildeten künftig die beitragslose Aufstockung der Rente abzuerkennen. Die Bildungsfunktionäre fürchten offenbar, heutige Jugendliche würden auf das Abitur und gar auf ein Studium verzichten, weil sie um das Jahr 2050 herum bei der Rente 55 Euro monatlich einbüßen sollen.
Extrawurst deutlich geschrumpft
Betroffener dürften sich in Wirklichkeit jene Absolventen höherer Bildung fühlen, die ab 2005 in Rente gehen wollen. Zwischen 2005 und 2008 soll nämlich die bisherige Regelung sukzessive fallen. Die Anerkennung auch der zuletzt nur noch drei Ausbildungsjahre zur beitragsfreien Erhöhung der Rente soll wegfallen. Ab dann - so das Ziel von Sozialministerin Ulla Schmidt - soll es überall in der Rentenversicherung Geldleistungen nur noch für jene Jahre geben, in denen auch tatsächlich Beiträge gezahlt wurden. Die Bildungszeiten nach dem 17. Lebensjahr waren die letzte Ausnahme. Die Extrawurst war jedoch schon in den vergangenen zehn Jahren deutlich geschrumpft.
Bis Ende der 80er Jahre konnten die gebildeten Neurentner künftiger Jahre noch hoffen, dass ihnen ein großer Teil der manchmal sehr langen Ausbildungszeiten bei der Rente guten finanziellen Ertrag bringen werde. Im Idealfall konnten 13 Ausbildungsjahre zu Buch schlagen, ohne dass dafür ein Cent Beitrag fällig wurde. Auch wurden die Bildungsjahre im Alter doppelt so hoch vergütet wie die Beitragsjahre von Durchschnittsverdienern. Die begannen in der Regel mit 14 oder 15 Jahren eine Lehre und zahlten von Anfang an Beiträge. Auch heute werden viele Lehren von 16-Jährigen begonnen.
Die Durchschnittsverdiener mit ihren kurzen Bildungszeiten mussten überdies viel mehr Jahre Beiträge leisten als die höher Gebildeten, um am Ende doch die kleinere Rente zu bekommen. Denn die Studienabsolventen bekamen in der Regel höhere Gehälter, die auch zu höheren Renten führen.
Das Privileg spielte früher keine Rolle
Das Privileg schlug dennoch bei den Rentenkassen zunächst nicht gewaltig zu Buch. Nur sechs Prozent eines Geburtsjahrgangs machten beispielsweise in den 60er Jahren überhaupt Abitur. Nicht alle studierten. Die es taten, blieben nicht durchweg in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern wanderten als Ärzte, Juristen oder Journalisten in berufsständische Versorgungswerke oder wurden Beamte.
Allerdings stiegen die Abiturientenzahlen in den Folgejahren steil an - schon 1980 auf deutlich mehr als 20 Prozent eines Jahrgangs. Die Politik handelte. Mit der Rentenreform 1992 wurden unter der unionsgeführten Bundesregierung die Anrechnungsjahre auf sieben reduziert. An der Reform war die SPD beteiligt. 1997 kürzte die CDU/CSU/FDP-Regierung allein noch einmal auf drei Jahre.

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Bei den Grünen noch Bedenken
Die neue Null-Lösung würde in den ersten Jahren ab 2005 zunächst nur 25 bis 30 Millionen Euro jährlich sparen. 2030 wären es jedoch zwei Milliarden Euro und damit 0,2 Prozentpunkte beim Beitrag. Bei den Grünen gibt es noch Bedenken - grundsätzlicher Natur, aber auch wegen schulischer Berufsausbildungen wie Krankenpflege.
Ulla Schmidt will jedoch grundsätzlich an den Plänen festhalten. Ihr Sprecher Klaus Vater, Abitur-Jahrgang 1966 und damit selbst betroffen, bestärkt sie: "Mir tut das auch weh", sagt er zum Verzicht auf 55 Euro pro Monat. "Aber das ist eine Gerechtigkeitsfrage."