Die Ausgaben für Sozialleistungen steuern in der Wirtschaftskrise auf eine neue Rekordmarke zu: Fast jeder dritte verdiente Euro wird in diesem Jahr umverteilt und für Rentner, Hinterbliebene, Familien, Bedürftige oder Arbeitslose ausgegeben. Im kommenden Jahr könnte die sogenannte Sozialleistungsquote mit 32,4 Prozent sogar höher als jemals zuvor ausfallen. Dies geht aus dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Sozialbericht 2009 hervor.
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hofft jedoch, dass dieser Fall nicht eintritt und sich die Vorausberechnungen als Makulatur erweisen. In der steigenden Sozialleistungsquote zeigt sich für ihn das Funktionieren der Sozialsysteme. "Gerade in der Krise erweist der Sozialstaat seine Leistungsfähigkeit", sagte Scholz. Das erweiterte Modell der deutschen Kurzarbeit als Mittel gegen Entlassungen nannte er weltweit vorbildlich. Aktuell arbeiteten etwa 1,4 Millionen Beschäftigte kurz.
Der Minister verteidigte abermals die Schutzklausel gegen Rentenkürzungen bei zurückgehenden Löhnen. Eine Rentensenkung sei weder verantwortbar noch notwendig. Auch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der die jüngste Debatte um die Schutzklausel losgetreten hatte, habe ihm im persönlichen Gespräch versichert, er finde die Rentengarantie "richtig". Das Finanzpolster von 16 Milliarden Euro oder einer Monatsausgabe der Rentenkassen gestattet nach den Worten von Scholz trotz der demografischen Veränderungen einen entspannten Blick in die Zukunft der Alterssicherung.
Scholz stellte klar, dass ausgefallene Rentenkürzungen in späteren Jahren durch Verrechnung mit Erhöhungen nachgeholt werden müssen. Bei der Arbeitslosenversicherung setzt er darauf, dass der von 2011 an geltende Beitragssatz von drei Prozent auch bei andauernder Krise nicht erhöht wird. "Mir sind drei Prozent genug." Komme die Bundesagentur für Arbeit damit nicht hin, müsse der Bund Defizite durch - rückzahlbare - Darlehen eben ausgleichen.
Nach dem neuen, über 350 Seiten starken Sozialbericht werden die Ausgaben für Sozialleistungen 2009 voraussichtlich um knapp 33 Milliarden Euro oder 4,5 Prozent auf insgesamt 754 Milliarden Euro steigen. Im vergangenen Jahr flossen dafür rund 720 Milliarden Euro oder 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Höchstwert 2003 erreicht
Die Sozialleistungsquote - also das Verhältnis von BIP zu Sozialleistungen - gibt Auskunft über deren volkswirtschaftliches Gewicht. Es spiegelt sich darin auch die Belastung der Einkommen mit Sozialabgaben sowie direkten und indirekten Steuern wider.
Die Quote erreichte 2003 mit 32,3 Prozent ihren bisherigen Höchstwert. Danach reduzierte sie sich stetig: Als Folge der Sozialreformen und später dann der Konjunkturerholung. Für 2009 rechnet die Regierung mit einer Sozialleistungsquote von 31,9 Prozent - nach 29,0 Prozent im vergangenen Jahr. So niedrig lag der Wert zuletzt Anfang der 90er Jahre.

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Deutschland international vorne dabei
Für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach kann der Sozialbericht "nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Soziale Sicherung in Deutschland unübersehbare Risse bekommen hat". Die Belastungen seien einseitig auf die Arbeitnehmer verlagert worden, darüber hinaus werde zunehmend auch Lohndumping "staatlich subventioniert".
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte dagegen mit Blick auf die Rekordausgaben von 720 Milliarden Euro für 2008, von Sozialabbau könne "keine Rede sein". Der deutsche Sozialstaat sei mit den Reformen der vergangenen Jahre "nicht abgebaut, sondern umgebaut worden." Im internationalen Vergleich belegt Deutschland beim Sozialleistungsniveau "weiter einen Spitzenplatz".