SPD-Nachwuchs Jusos wollen den Kapitalismus überwinden

  • von Sebastian Christ
Die Jusos sind wieder links: Auf einem Kongress in Berlin präsentierte die SPD-Nachwuchsorganisation heute ein Thesenpapier, in dem die Einführung des Sozialismus gefordert wird. Mutig. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass die Jusos zwar neue Schlagworte, aber kein neues Ziel gefunden haben.

Es ist ein Ort, an dem es früher mal Arbeiter gab. Heute keinen einzigen mehr. Im Umspannwerk am Berliner Paul-Lincke-Ufer, das einem nordrhein-westfälischen Finanzinvestor gehört, finden nur noch Veranstaltungen und keine Schichten mehr statt. Ein Industriedenkmal mit Barlounge und Weinkeller. Ein guter Ort, um über den Sozialismus zu diskutieren? Die Jusos finden: ja.

Die Standuhr in der angeschlossenen Gaststätte ist bei fünf vor zwölf stehen geblieben, draußen stehen Schnittchenbuffets und Bistrotische mit weißen Decken. Auf der Bühne steht die Bundesvorsitzende Franziska Drohsel und liest ihre Rede ab. "Das Auseinanderdriften von Oben und Unten muss uns dazu bringen, über die grundsätzliche Ausrichtung sozialdemokratischer Politik zu diskutieren", so Drohsel. "Kapitalismus produziert soziale Ungleichheit", sagt die 28-Jährige. "Dieses System ist von Menschen gemacht, und dieses System kann auch von Menschen überwunden werden."

Sie berufen sich auf Thesen von früher

Manche ihrer Sätze kann man mitlesen. Sie stehen im Thesenpapier, das die Jusos für diesen Kongress vorbereitet haben. Titel: "Für eine linke Zukunft". Darin fordert der SPD-Nachwuchs die Überwindung des Kapitalismus und die Einführung des Sozialismus. Im Frühjahr 2008, der schwärzesten Zeit in der Nachkriegsgeschichte der deutschen Sozialdemokratie, wollen die Jusos einen ideologischen Neuanfang wagen. Sie berufen sich jetzt wieder laut und selbstbewusst auf die Thesen von früher. Die siebziger Jahre. Eine wilde Zeit, in der die Jusos so viele richtig linke Mitglieder hatten, dass einige Christdemokraten schon den Anfang einer sozialistischen Kulturrevolution gekommen sahen. Sogar die so genannte "Doppelstrategie" ist auf dem Kongress wieder ein Thema: In der Partei Machtpositionen besetzen und in außerparlamentarischen Gruppen gesellschaftlichen Druck ausüben.

"Wir wollen Inhalte nach außen tragen, auch wenn es den Großen in der Partei gerade mal nicht in den Kram passt", sagt Drohsel. "Wir sind ein eigenständiger, linker Jugendverband. Das unterscheidet uns von jeder x-beliebigen anderen Jugendorganisation."

Linkspartei setzt SPD unter Druck

Das Thesenpapier ist auch der Versuch, eine theoretische Diskussion innerhalb der SPD anzustoßen. Zur jetzigen Situation sicherlich ein mutiger Schritt - gerät die Sozialdemokratie in Deutschland doch gerade deshalb unter Druck, weil die Linkspartei viele Probleme sehr direkt anprangert. Manch einer würde sagen: populistisch.

Die Jusos dagegen bedienen sich in ihrem Papier nicht nur der Ideen ihrer 68er-Väter. Sie sprechen auch denselben Soziologen-Kauderwelsch, der schon vor 40 Jahren viele Sympathisanten und Interessierte in den Wahnsinn getrieben hat. Zur These neun etwa, "Kapitalismus als Totalität", heißt es zusammenfassend: "Kapital und Arbeit als Antagonismus bedingen sich nur gegenseitig und lassen sich nicht hierarchisieren. Im Folgenden wird aber versucht, sie einzeln zu charakterisieren." Die Arbeiterschaft als verloren gegangene Wählerschaft erreicht man damit sicherlich nicht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Was heißt eigentlich Sozialismus?

Auch die Ausgestaltung der zentralen Vision bleiben die Jusos schuldig. Sozialismus? Ja. Aber was heißt eigentlich Sozialismus? Dazu schreiben die Jusos in Punkt zwei: "Den demokratischen Sozialismus zu erreichen, ist eine dauernde Aufgabe. Ihn exakt zu definieren, ist unmöglich. Es ist eine unmögliche Aufgabe und nicht wünschenswert, eine Vision bis ins kleinste Detail aus den heutigen Verhältnissen heraus zu beschreiben." Da wurde selbst Gastredner Johanno Strasser stutzig. Der Schriftsteller und ehemalige Juso-Aktivist fragte nach anfänglichen Worten des Lobes in die Runde, was für einen Sozialismus sich die Jungsozialisten denn nun vorstellen würden.

In der Tat klingt das Papier an vielen weiteren Stellen sehr vage. Und eine Vision gewinnt vor allem dadurch an Kraft, dass sie in möglichst vielen Köpfen zu leben beginnt.

Neue Ideen bleiben die Jungsozialisten also schuldig. Neue Parolen auch. "Die letzte Schlacht werden wir gewinnen", ruft Drohsel zum Schluss ihrer Rede in den Raum. Rio Reiser hatte es einst etwas knackiger formuliert: "Die letzte Schlacht gewinnen wir". Ein Zitierfehler - so etwas passiert schon mal. Beim Abschreiben.