Susanne Osthoff Kranke Ferndiagnosen

Wie die eigenwillige Archäologin Susanne Osthoff in die Mühlen der Medien geriet und als Verrückte abgestempelt wurde.

Verwirrt, verrückt, irr, durchgedreht, leichtsinnig, manisch-depressiv, seltsam, konfus, fundamentalistisch, unheimlich - so beschrieben deutsche Medien von "Bild" bis "Welt", von "Focus" bis "Spiegel" die Archäologin Susanne Osthoff in den vergangenen Wochen. Es waren Urteile in Abwesenheit. Außer einer ZDF-Moderatorin hatte kein Journalist mit der Deutschen gesprochen. Kaum jemand kannte sie persönlich.

Dennoch reichte ein befremdlicher Auftritt im "heute-journal" des ZDF, um Osthoff aus der Ferne zur Geisteskranken zu erklären. Gleich von mehreren Blättern wurde der Psychologe Christian Lüdke befragt, der seit Jahren Opfer nach Geiselnahmen betreut. Auch Herr Lüdke kannte Osthoff nur aus den Fernsehauftritten. In einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" reichten ihm diese Eindrücke, um zu spekulieren, dass sie "vielleicht tatsächlich in die Entführung verstrickt" sei.

"Warum ruft sie nicht mal ihre Mutter an?", fragte die "Bild"-Zeitung. "Das ist eine Frau, die etwas zu verbergen hat", befand "Die Welt". Im "Spiegel" ist davon die Rede, dass sie "manisch-depressiv" sein könnte, "Focus" erzählte die "wirre Geschichte der O". In Berlin regte sich der Politikbetrieb über angebliche Pläne von Osthoff auf, wieder in den Irak zu gehen. Der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden sah ihre "Maßstäbe verrückt", andere Politiker wollten ihr gleich das Recht auf Reisefreiheit nehmen. Dabei hatte Osthoff nie gesagt, dass sie wieder zurückwolle nach Bagdad.

Vor allem in "Bild" brach sich Volkes Stimme Bahn. Einreiseverbot für Deutschland, Entziehen des deutschen Passes, Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für Osthoff verlangten Leserbriefschreiber. Der Kolumnist Franz Josef Wagner fragte: "Warum ist das Herz der Tochter Susanne so kalt?" - und schwurbelte: "Wenn sie Pech hat, bleibt sie Susanne Osthoff, die unbelehrbare Frau." Kaum jemand fragte, was geschehen sein musste, damit eine starke Frau so offensichtlich mit sich und ihren Gefühlen zu kämpfen hatte. Was sie erlitt in tagelanger Todesangst.

In Trainingscamps der Bundeswehr, in denen Journalisten auf Krisensituationen vorbereitet werden, brechen Menschen schon nach drei Stunden gespielter Entführung mit Weinkrämpfen zusammen. Dort steht jederzeit ein Psychologe bereit, der bei Problemen einspringen kann. Dabei ist jedem klar, dass die Schreie, die Augenbinden und der kalte Verhörraum Teile eines inszenierten Spiels sind.

Frau Osthoff war mehr als drei Wochen in der Hand gewalttätiger Entführer. Allein. Auch wenn sie nach ihrer Befreiung nicht die ideale Geisel mit der herzergreifenden Boulevard-Story ist und sein will, hat sie mehr Mitgefühl verdient.

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Cornelia Fuchs