Fall Osthoff "Keine Schwäche zeigen"

Was für ein Mensch ist Susanne Osthoff? Die Archäologin, die drei Wochen Geisel im Irak war, gab den stern-Reportern Peter Meroth und Christoph Reuter ein elfstündiges Interview. Hier schildern Meroth und Reuter ihre Eindrücke.

Sie haben für den stern das erste ausführliche Interview mit Susanne Osthoff geführt, wie waren die Reaktionen auf die Veröffentlichung?

Meroth: Das Interview hat die Leser sehr bewegt. Nachdem wochenlang ohne Ende über Susanne Osthoff und ihre 24-tägige Geiselhaft im Irak gemutmaßt und spekuliert worden war - bis hin zur Ferndiagnose von Psychologen -, hat sich die Betroffene nun selbst über ihre Entführung, ihre Familie und ihre Arbeit geäußert. Und viele Menschen wollten sich endlich ein Bild machen, was das für eine Frau ist, über die sich die Nation so ereifert.

Konnte Susanne Osthoff die stern-Leser überzeugen, dass sie keine "arme Irre" ist?

Reuter: Die Reaktionen waren gespalten. Die meisten sehen sie als Opfer, traumatisiert durch die Entführung und über drei Wochen qualvoller Gefangenschaft. Es gab auch Hilfsangebote, von der Unterkunft bis zur Trauma-Therapie. Sehr viele Menschen misstrauen Susanne Osthoff immer noch: Sie hätte die Gefahren im Irak unterschätzt oder sei womöglich selbst an ihrer Entführung beteiligt gewesen.

Gibt es Anhaltspunkte dafür?

Reuter: Das Misstrauen resultiert vor allem daraus, dass Susanne Osthoff nicht gleich nach ihrer Freilassung an die Öffentlichkeit gegangen ist, dass das Bekenner-Video der Entführer untypisch war, dass sie zuerst beim arabischen Sender Al-Dschasira vor die Kamera trat und im ZDF nur verschleiert zu sehen war. Einige Leser fanden nun auch im stern-Interview Ungereimtheiten, die ihren Verdacht weckten.

Welche?

Reuter: Sie beschreibt, wie die Entführer sie in ihrem Wagen überwältigen und ihr die Hände auf dem Rücken fesseln. Und wie sie später ihre Fesseln mit den Zähnen lösen kann, während sie im Kofferraum eines anderen Autos weitertransportiert wird. Der vermeintliche Widerspruch ist aber erst durch Kürzen des Interviews entstanden. Sie berichtete, dass sie beim Umladen neu gefesselt wurde, mit den Händen vor der Brust. Die Kidnapper benutzten dazu eine Kordel, an der Susanne Osthoff ihr Handy umgehängt hatte. Im Kofferraum konnte sie sich unbeobachtet an den Fesseln zu schaffen machen.

Weshalb mussten Sie das Interview überhaupt kürzen?

Meroth: Das Gespräch dauerte fast elf Stunden, genug Material für ein Buch. Frau Osthoff musste sich vieles von der Seele reden. Jedes Detail ihrer Entführung war für sie von größter Bedeutung, wohin sie gebracht wurde, wem sie ausgeliefert war, wie sie sich verhalten sollte, um keine Schwäche zu zeigen, aber ihre Entführer auch nicht zu provozieren - jede Kleinigkeit konnte über Leben und Tod entscheiden.

Wie hatten Sie überhaupt zu Susanne Osthoff Kontakt bekommen?

Reuter: Sie rief mich am Tag vor Silvester an, um sich über meinen Kommentar bei stern.de zu beschweren. Sie fühlte sich zu Unrecht kritisiert, und das ausgerechnet von mir. Nachdem sie ihrer Empörung Luft gemacht hatte, konnte ich sie nach einem dreistündigen Telefonat davon überzeugen, das Gespräch persönlich in Bahrain fortzusetzen.

Susanne Osthoff sagte, sie sei beim ZDF-Interview abgehetzt, ohne Vorbereitung vor die Kameras gekommen. Der Sender entgegnet nun, es habe ein 15-minütiges Vorgespräch gegeben.

Meroth: Auch bei unserem Interview spürte man noch den Druck, unter dem Frau Osthoff stand. Nach dem Trauma einer Entführung brauchen Menschen Wochen, um die Erlebnisse so weit zu bewältigen, dass sie den Belastungen des Alltags wieder gewachsen sind. Da braucht es auf allen Seiten Geduld. So, wie Frau Osthoff uns die Situation schilderte, fühlte sie sich beim ZDF-Interview den Kameras plötzlich ausgeliefert.

Wird sie noch einmal im Fernsehen auftreten?

Reuter: Viele Sender haben angefragt. Die Schwierigkeiten bleiben: Ein Interview vor einer Kamera ist eine Stresssituation, die aufgewühlte Menschen zusätzlich unter Druck setzt. Da wird enorme Konzentration verlangt, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. Über Todesängste lässt sich nicht immer im Plauderton reden.

Es heißt nun, im Fall Osthoff seien fünf Millionen Euro Lösegeld gezahlt worden, kann das stimmen?

Reuter: Höchstwahrscheinlich war die Summe viel geringer. Aber darüber sollte nicht spekuliert werden. Es gibt bei Entführungen Details, die geheim bleiben müssen, um andere potenzielle Opfer nicht zu gefährden. Es wäre fatal, wenn nun alle Ausländer im Irak mit einem Preisschild herumlaufen würden.