Kommentar "Wer einen Fehler macht, ist tot."

Von Christoph Reuter
Nach einer möglichen Rückkehr würde Susanne Osthoff mit einem Preisschild durchs Land laufen: "Bin wertvoll! Werde freigekauft!" Damit wäre dem Aufbau im Irak nicht gedient, denn es wäre das Ende für alle anderen deutschen Initiativen im Lande.

Vor Wochen, kurz nach ihrer Entführung, kursierte ein Zitat von Susanne Osthoff über ihr Risikobewusstsein bei der Arbeit im Irak: "Wer einen Fehler macht, ist tot." Für sich selbst scheint sie dem Satz nicht so viel Gültigkeit beizumessen. Es war ein Fehler, ohne Not wiederholt mit dem Taxi durchs Kampfgebiet gen Norden zu fahren. Und wer aus humanitärem Engagement oder zur Rettung der Altertümer im Irak arbeitet, tut nicht klug daran, monatelang einen Deutschen als Fahrer in der Stadt dabei zu haben, dem auch kein Iraker die Tätigkeit für die "Interessensvertretung der bayerischen Wirtschaft" abnahm. Auch, wenn sie kein Geld vom BND bekommen hat - in Bagdad für eine Geheimdienstagentin gehalten zu werden, ist lebensgefährlich. Wobei es nicht minder unverantwortlich vom BND war, Susanne Osthoff zu benutzen.

"Bin wertvoll, werde freigekauft"

Bei vielen Journalisten oder humanitären Helfern, die sich lange Zeit kontinuierlich im Irak halten, treffen zwei Tendenzen fatal aufeinander: Das subjektive Gefühl der Sicherheit wird größer, weil ja noch nichts passiert ist. Gleichzeitig aber wächst die tatsächliche Gefährdung, weil immer mehr Leute von einem wissen, weil irgendwann ein paar Kidnapper einen ganz persönlichen Hinterhalt bereiten. So, wie im Fall des britischen Guardian-Korrespondenten Rory Carroll, so im Fall der Care-Chefin Margaret Hassan und im Fall Osthoff.

Käme sie nun in den Irak zurück (was sie möchte, auch wenn sie die Antworten bei al-Jazeera und im ZDF darauf vage hielt), liefe sie überall südlich der kurdischen Demarkationslinie mit einem imaginären Preisschild auf der Stirn durchs Land: "Bin wertvoll! Werde freigekauft!" Ihr Bild ist wochenlang auch über die arabischen Satellitenkanäle geflimmert. Die irakischen Zeitungen haben geschrieben, dass auch die deutsche Regierung getan hat, was Franzosen und Italiener zuvor getan haben - zahlen und schweigen. Nun stehen Deutsche noch weiter oben auf der Wunschliste der zahlreichen, exzellent organisierten Entführerbanden.

Ahnungslose Roth

Es ist ein hohes Gut, dass die deutsche Regierung sich um ihre entführten Bürger kümmert. Wer trotz der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes im Irak arbeitet, insbesondere in den tatsächlich gefährlichen Landesteilen südlich des kurdischen Nordens, sollte dies mit großer Umsicht tun. Wer es nicht tut, gefährdet dabei nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen, die im Land tätig sind. Aus parteipolitischem Reflex nun entgegen allen Warnungen der Regierung Susanne Osthoff zur Rückkehr zu ermuntern, spricht vor allem für die Ahnungslosigkeit der Grünen-Chefin Claudia Roth, die dies mit der ebenso schlichten wie verantwortungslosen Begründung der "freien und selbstbestimmten Entscheidung" tat. Und noch hinzufügte: "Man kann nur hoffen, dass nichts passiert. Aber wenn etwas passiert, ist selbstverständlich die Bundesregierung angehalten, alles zu tun, dass sie wieder freikommt."

Die Bundesregierung als Füllhorn der irakischen Kidnapping-Branche? Das wäre nicht allein gefährlich für Susanne Osthoff – sondern würde das gesamte deutsche Engagement im Irak desavouieren.

Es ist kein naiver Idealismus, sich für den Aufbau des Irak einzusetzen. Das Land ist dabei, schrittweise in einen Bürgerkrieg abzurutschen, sich in ein Patchwork rechtsfreier Räume zu verwandeln, beherrscht von Milizen. Und was immer im Irak geschieht, zieht Nachbarländer wie Syrien, Saudi-Arabien, Jordanien, Iran, Türkei, mit hinein. Das Land hat Afghanistan abgelöst als Mekka jener Dschihadisten, die den Weg zum Ziel erklärt haben und sich inmitten von Passanten in die Luft sprengen.

Keimzellen der Zivilität

Es geht nicht darum, ob im Irak ein Sack Reis umfällt. Es geht darum, dem Flächenbrand der Auflösung aller Ordnung entgegenzuwirken. Zumal der Irak momentan nicht nur sich selbst bedroht, sondern auch den Rest der Welt. Die Selbstmordbomber von London begründeten ihre Taten mit der Besatzung des Irak durch "westliche" Armeen.

Militärisch ist für die nicht mehr viel zu gewinnen. Langfristig am hoffnungsreichsten ist es, Keimzellen einer Zivilgesellschaft zu kultivieren. Genau das geschieht, auch mit deutscher Hilfe: NGOs, Nichtregierungsorganisationen, fördern Hilfe zur Selbsthilfe bei der Sanierung von Slums; reformieren Verwaltungen, um der Korruption entgegenzuwirken; bilden Journalisten aus und finanzieren Radioprogramme. Kleine Schritte, aber wichtige. Genau so wie die Arbeit der wenigen deutschen und anderen ausländischen Journalisten, die noch regelmäßig im Irak sind: Sie berichten am akkuratesten und unparteiisch, was überhaupt im Land geschieht, wo schon wieder Wahlen gefälscht werden, wo die neue Regierung Todesschwadronen und Foltergefängnisse einsetzt. Irakische Journalisten haben es schon deshalb schwerer, weil sie noch eher erschossen, ihre Redaktionsgebäude abgefackelt werden von den neuen Mächtigen.

"Tiger im dunklen Käfig"

Was das mit Susanne Osthoff zu tun hat? Jeden Tag mehr. Dass der unter kurdischer Kontrolle stehende Nordirak ausgesprochen sicher ist, sollte auch im Auswärtigen Amt bekannt sein. Trotzdem fordert es momentan Deutsche, die seit Jahren dort leben, auf, sofort das Land zu verlassen. Sinnvolle Projekte im Norden werden auf Eis gelegt, weil es heißt, sie seien politisch nicht mehr vermittelbar.

"Der Irak ist wie ein Tiger im dunklen Käfig. Die Leute leiden, und ich will ihnen helfen, auf eigene Verantwortung", hat Susanne Osthoff gesagt. Doch genau das tut sie gerade nicht. Sondern begräbt en passant gerade alle anderen deutschen Initiativen im Lande.

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