Tag der Deutschen Einheit "Brauchen wir erst Hochwasser?"

Zum 14. Jahrestag der deutschen Einheit wollte Bundespräsident Horst Köhler mit der ersten wichtigen Rede seiner Amtszeit vor allem eines: Mut machen. Allen, auch ihm, habe 1990 die Weitsicht gefehlt, im Zuge der Vereinigung überfällige Reformen anzugehen.

Zum 14. Jahrestag der deutschen Einheit ist die Stimmung im Land mies, im Osten besonders, aber auch im Westen. Dies hat Bundespräsident Horst Köhler erst kürzlich erfahren, als er sich im "Focus" äußerte und es harsche Reaktionen auf seine Äußerungen zu den unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Deutschland gab. Mit der ersten wichtigen Rede seiner Amtszeit wollte Köhler am diesjährigen Tag der Einheit vor allem eines: Mut machen. Und den Deutschen zureden: Sie können die immensen Probleme schultern, wenn sie nur wollen.

"Willy Brandt ans Fenster"

Es passte somit gut, dass 15 Jahre nach dem Fall der Mauer die diesjährigen Einheitsfeiern in einem ostdeutschen Bundesland stattfanden, wo längst noch nicht das westliche Niveau erreicht ist. Die Thüringer Landeshauptstadt war - gut 34 Jahre ist es jetzt her - einmal Ort einer wichtigen Begegnung in den erstarrten deutsch-deutschen Beziehungen. Am 19. März 1970 traf der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph. Längst Geschichte sind die Rufe "Willy Brandt ans Fenster", die Tausende auf dem Platz vor dem Hotel Erfurter Hof skandierten. Es dauerte dann aber noch 19 Jahre bis der Eiserne Vorhang fiel und die beiden Teile Deutschlands wieder zusammenkamen.

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Ist Deutschland im Jahr 2004, nachdem die Freude über die Einheit längst verklungen ist, ein Jammertal, wo Ost und West sich immer stärker misstrauen? "Köhler hat Recht. Endlich jemand, der den Ossis mal Kontra gibt. Die sind doch an unserer finanziellen Misere schuld, haben nie was einbezahlt und wollen nur gut kassieren", schrieb neulich ein offenkundig westdeutscher Anonymus in einem heftigen Internet-Chat über die missdeuteten Köhler-Äußerungen. Im Osten wählen mittlerweile viele rechtsextrem, andere blicken frustriert zurück. 75 Prozent der ostdeutschen Anti-Hartz-Demonstranten, fand eine Umfrage heraus, halten den Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. Für Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU), einem gelernten Ostdeutschen, haben viele seiner Landsleute vergessen, was war. "Die DDR war restlos bankrott, sie hatte in jeder Hinsicht restlos abgewirtschaftet."

Brauchen wir, fragte Köhler, "um unser Glück zu begreifen, wirklich immer erst Hochwasser, Bibliotheksbrände oder den Wiederaufbau zerstörter Kirchen? Haben wir überhaupt verstanden, welche Heilung sich seit 1990 in Deutschland vollzieht?" Erst mit dem Ende der Trennung seien die starken Bindungen der gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur offenbar geworden. "Diese Einheit trägt uns."

Fehlende Weitsicht

Die bisher erreichten Erfolge will Köhler nicht kleinreden lassen. Die Innenstädte seien vor dem Verfall gerettet, neue Verkehrswege gebaut, die Zerstörung der Umwelt gestoppt, die Telekommunikation gehöre zu den modernsten der Welt. Gleichwohl weiß auch der Bundespräsident, dass seit einiger Zeit einiges schief läuft. Die Fehler liegen auch in der Vergangenheit. Allen, auch ihm als damaligen Finanzstaatssekretär in Bonn, habe 1990 die Zeit oder die Weitsicht gefehlt, im Zuge der Vereinigung überfällige Reformen anzugehen.

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Norbert Klaschka/DPA