Meinung zum TV-Duell Was reden die da, bitte? Mehr Kotelett wagen!

Eine Person schaut auf einem Fernseher das TV-Duell zwischen Scholz und Merz
Verstehen Sie auch nur Bahnhof? Olaf Scholz und Friedrich Merz diskutieren über Politik wie nur für Auskenner
© Wolfgang Maria Weber / Imago Images
Im TV-Duell am Sonntagabend ging es um Zahlen, Paragrafen, Gerichtsurteile. Details erdrückten jede aufkeimende Emotion. So begeistert man niemanden. Ein Vorschlag.

Es dauert 45 Minuten im TV-Duell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz, ehe Maybrit Illner eine Frage mit diesen bemerkenswerten Worten einleitet: "Vielleicht lohnt an dieser Stelle ein etwas tieferer Blick in die Situation der Menschen in diesem Land …" Es mag als Plattitüde gemeint sein, aber der Satz bleibt hängen, weil es zuvor um ganz viel ging, aber sehr selten um die, wie Illner sagt, Menschen in diesem Land. 

Wenige Minuten lang reden Scholz und Merz in der Folge über die Bezahlbarkeit von Lebensmitteln, sprechen über teures Benzin, über steigende Mieten, über die explodierenden Kosten für Pflege. Für einen Moment taucht der Bürger vor dem inneren Auge des Zuschauers tatsächlich wie ein Wesen aus Fleisch und Blut auf, mit Sorgen, Nöten, ja, Ängsten. Plötzlich kann man sich die beiden Politiker als Bundeskanzler vorstellen, die echte Lebewesen regieren und nicht Zahlenkolonnen optimieren und Gesetzestexte redigieren.

Merz und Scholz steigen im TV-Duell schnell wieder auf Flughöhe

Es bleibt ein seltener Moment in diesem TV-Duell. Schon geht es wieder dorthin, wo sich die beiden Moderatorinnen und Kanzlerkandidaten offenkundig wohler fühlen: auf die Flughöhe der Welterklärer. Scholz und Merz streiten, dirigiert von den (zweifellos wichtigen, teils drängenden, nie blöden) Fragen der Moderatorinnen, über die Bezahlbarkeit ihrer Wahlprogramme, die Größe der Haushaltslücke, über konkrete Zusagen ihrer Ukraine-Politik. So weit, so erschöpfend.

Klar, wer sich über zu viel Detailreichtum oder Paragrafenreiterei beklagt, gerät schnell in den Verdacht des Populismus. Aber man fragte sich an diesem Abend schon, wie viele Menschen außerhalb des politischen Berlins und einer politisch überdurchschnittlich interessierten Mittel- und Oberschicht dieser Debatte wirklich noch folgen konnten. Und wie viele andere dachten: Was reden die da, bitte?

Das mag auch an den beiden Kandidaten gelegen haben: Einer von beiden, Scholz, formt seine Sätze im von nahezu jeder Emotion befreiten Deutsch eines Juristen. Der andere, Merz, spricht zwar sehr viel verständlicher, aber auch er liebt das kühle Dozieren über die Dinge aus dem Cockpit des Welterklärers. Beide sprechen Menschen selten direkt an, sondern zumeist: über deren Köpfe hinweg.

Darf ein TV-Duell nicht auch unterhaltsam sein?

Man kann diese Debatte weit grundsätzlicher aber auch als Symptom einer auseinanderdriftenden Öffentlichkeit betrachten: Je mehr mit ungenauen und falschen Behauptungen in den sozialen Medien Stimmung gemacht wird, desto stärker scheint man sich in der alten Medienöffentlichkeit in möglichst seriös wirkende Detaildiskussionen flüchten zu wollen. Das alles ist ein riesengroßes Missverständnis. 

Niemand kann sich die daueraufgepeitschte Internetöffentlichkeit auch noch Vollzeit ins Fernsehen wünschen. Politische Debatten in Beruhigungstablettenform sollten aber auch nicht die Antwort sein.
Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Als gelte es, bloß nicht zu grundsätzlich zu werden, bloß nichts Falsches durchgehen zu lassen, bloß nicht emotional zu werden und zu menschlich. Als gelte es, bloß dem Ernst der Dinge gerecht zu werden, bloß nicht der Parteilichkeit bezichtigt zu werden. Als gelte es, bloß nicht zu sein "wie die" in den sozialen Medien. Bloß nicht unterhaltsam.

Der Impuls ist zwar nachvollziehbar. Die Moderatorinnen haben unter diesen Bedingungen einen guten Job gemacht. Und nein, niemand kann sich die daueraufgepeitschte Internetöffentlichkeit auch noch Vollzeit ins Fernsehen wünschen. Politische Debatten in Beruhigungstablettenform sollten aber auch nicht die Antwort sein. 

Man wünschte sich an diesem Sonntag einen Fragensteller wie Stefan Raab zurück. 2013 nervte der Entertainer die damaligen Kandidaten Peer Steinbrück und Angela Merkel mit einfachen, klaren, emotionalen, auch persönlichen Fragen. Raabs Ausspruch in Richtung Steinbrück – "Man kann doch nicht sagen, man will nur gestalten, wenn ich auch King of Kotelett bin" – wurde legendär. 

Bitte mehr Kotelett wagen!

Davon braucht es mehr! Mehr vermeintlich naive Bürgerfragen! Mehr Einfachheit! Mehr Witz! Die Antwort auf das wachsende Unverständnis für eine immer vielschichtiger, verrechtlichter und globalisierter werdende Gesellschaft kann jedenfalls nicht nur darin liegen, deren Details immer noch weiter auszuleuchten, noch tiefer einzudringen, noch mehr Zahlen und Paragrafen zu debattieren. Wer soll da noch mitkommen?

Vielleicht kann man es auf folgende Losung bringen: Bitte mehr Kotelett wagen! Oder im Ton von Sonntagabend: Komplexitätsreduktion. 

Manchmal legt Einfachheit politische Unterschiede besonders gut offen. Witz zeigt den Charakter von Politikern am besten. Womöglich überzeugt selbst ein TV-Duell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz dann sogar Menschen davon, zur Wahl zu gehen. Und das wäre doch wirklich mal ein Erfolg.