Unicef Zum Neustart verdammt

  • von Sebastian Christ
Ob Unicef Deutschland der Neuanfang gelingt? Das UN-Kinderhilfswerk braucht ein starkes deutsches Komitee. Doch im neuen Vorstand sitzen in erster Linie Politiker und Promis. Mal wieder. Kritiker vermissen nach den Problemen der vergangenen Monate echtes Expertenwissen.

Gut ein Dutzend Kameraauslöser schnippen, viele Male pro Sekunde. Ein lautes Zirpen erfüllt den Raum, als ob eine Kolonie von besonders großen Grillen den Weg in das Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus gefunden hätte. Fernsehleute schreien Befehle durch den Raum, alles es ist ein wenig eng, und Jürgen Heraeus wirkt von so viel Aufmerksamkeit ein wenig erschlagen. Immer wieder unterbricht der neue Vorsitzende des deutschen Unicef-Komitees seine Ausführungen. Besonders dann, wenn er gestikuliert, zirpen die Kameras am lautesten, und er muss noch lauter reden, um verstanden zu werden.

Ob er mit so viel Beobachtung gerechnet hat?

Ob er mit so viel Beobachtung gerechnet hat? Der 71-jährige Hesse wird sich wohl daran gewöhnen müssen. Nach den jüngsten Skandalen um undurchsichtige Vorstandsaktivitäten und Verschwendungsvorwürfen bei Unicef Deutschland steht das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die nächsten Wochen werden darüber entscheiden, ob Heraeus und seine neuen Vorstandskollegen das verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen können. Eine heikle Mission. Denn wenn sie scheitert, droht einem der bedeutendsten nationalen Komitees von Unicef der dauerhafte Ansehensverlust. Und das hätte schwerwiegende Folgen für Hilfsprojekte auf der ganzen Welt. Die Spendenausfälle belaufen sich allein für 2008 schon auf sieben Millionen Euro. Pessimistische Prognosen gehen laut stern.de-Informationen sogar davon aus, dass bis Ende des Jahres 30 Millionen Euro fehlen könnten.

"Es ist wie bei einem Unternehmen: Da gibt es auch mal schlechte Zeiten. Und es ist dann eben wichtig zu wissen, warum es so ist", sagt Heraeus. Der achtköpfige Vorstand von Unicef Deutschland wählte ihn nun an die Spitze. Heraeus ist Aufsichtsratsvorsitzender einer weltweit operierenden Metallfirma mit Sitz in Hanau. Er ist nur einer von zwei Vertretern aus der Wirtschaft, die es in den Vorstand geschafft haben.

Drei Politiker, eine Sportlerin und eine TV-Moderatorin

Sonst setzt Unicef weiter auf ein altbewährtes Prinzip: Mit bekannten und repräsentativen Gesichtern soll Aufmerksamkeit erzielt und Spendenlust angekurbelt werden. Die bekannte TV-Journalistin Maria von Welser ("Mona Lisa") ist neue stellvertretende Vorsitzende. Ihr zur Seite steht die ehemalige Dressurreiterin und Olympiasiegerin von Seoul, Ann Kathrin Linsenhoff. Außerdem finden sich gleich drei Politiker in dem Gremium: Tom Koenigs (Grüne), ehemaliger Umweltdezernent der Stadt Frankfurt; Ekin Deligöz (Grüne), Bundestagsabgeordnete - und Anne Lütkes (Grüne), ehemalige Justizministerin von Schleswig-Holstein. Ein Hauch von Ironie schwingt da mit. Schließlich amtierte Lütkes unter der Ministerpräsidentin Heide Simonis, zurückgetretene Unicef-Vorsitzende und in den Augen vieler eine der Hauptverantwortlichen für das Desaster.

Es gab zuvor offensichtlich Diskussionen um die personelle Neuausrichtung des deutschen Unicef-Vorstandes. Die zentrale Frage dabei: Wie konsequent kann ein Neuanfang sein, wenn nicht mit alten Prinzipien bei der Personalpolitik gebrochen wird? Auch Heraeus erwähnte diese Diskussion. "Einige haben gesagt: Wir wollen ja kein Wirtschaftsunternehmen sein", sagte er.

Im Gespräch war neben der Einbeziehung von Wirtschaftsvertretern außerdem, verstärkt Experten für die Armut in der Dritten Welt in den Vorstand zu berufen. Viele Beobachter hatten sich gewünscht, dass Fachleute dem Durcheinander auf Führungsebene ein Ende bereiten.

Strukturreformen angeschoben

"Mit Ausnahme von Tom Koenigs hat niemand Erfahrung, wie es den Kindern in der Dritten Welt geht", sagt Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt-Universität Berlin. "Wie solche Projekte laufen, dass können diese Leute bestenfalls lernen." Graf Strachwitz kritisiert die Mentalität in den Führungsgremien des Kinderhilfswerks. "Das deutsche Unicef-Komitee hat sich zuletzt nur über Einnahmen definiert, aber nicht über konkrete Projekte." Vertrauen gewinne man nicht zurück, in dem man mit berühmten Personen Vertrauenswürdigkeit vorspiegele. "Wir brauchen eine grundsätzliche Diskussion über die Rolle von Hilfsorganisationen in Deutschland", so Graf Strachwitz.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Immerhin schob der neue Vorstand erste Strukturreformen an. So sollen künftig transparente Jahresberichte veröffentlicht werden, in denen ausführlich über die Finanzen informiert wird. Die Satzung wird überarbeitet, es soll einen Verhaltenskodex für den Geschäftsverkehr geben. Und Heraeus will, dass Unicef so schnell wie möglich das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) wieder erlangt. Das Siegel bürgt für die Glaubwürdigkeit von gemeinnützigen Verbänden und Organisationen.

"Ein volles Geschäftsjahr muss vergehen, bevor es neu beantragt werden kann", sagt Burkhard Wilke, Geschäftsführer des DZI. Wilke sagt, dass Unicef eine "Neuordnung der Strukturen und Prozesse" vorantreibe. Er bemängelte vor allem die bisherigen "Managementstrukturen" des Kinderhilfswerks. Frühestens 2010 könne Unicef einen neuen Antrag stellen.

"Wie im Glashaus präsentieren"

"Der Weg ist frei für eine neue Entwicklung bei Unicef", sagt Rolf Seelmann-Eggebert, Fernsehjournalist und langjähriges Vorstandsmitglied. "Wir werden nun eine Leitliniendiskussion führen müssen, ob das, was man in der Vergangenheit für möglich gehalten hat auch in Zukunft noch möglich ist." Unter dem alten Vorstand wurden professionelle Spendenvermittler engagiert, die zum Teil gegen ein fünfstelliges Honorar Großspenden vermittelt haben. "Wir werden außerdem diskutieren müssen, wie es zusammengeht, dass wir bei Unicef zwei sehr unterschiedliche Pole haben: ehrenamtliche Mitarbeiter und bezahlte Profis." Es gehe darum, das Vertrauen der Spender zurückzugewinnen. Nach Auskunft von Seelmann-Eggebert hat Unicef in den vergangenen Monaten 35.000 seiner 200.000 Dauerunterstützer verloren.

Und wie man dieses neue Vertrauen schafft? Seelmann-Eggeberts Antwort: Transparenz. "In dem man sich selbst wie im Glashaus präsentiert", sagt der ARD-Adelsexperte. "Und in dem man sagt, dass Spenden anders zu verwenden als die Spender es sich wünschen das absolut Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann."