Heribert Schwan machte sich keinerlei Illusionen. Noch ehe das Urteil in seinem Prozess gegen Helmut Kohl gesprochen war, ahnte er, was passieren würde. "Ich gehe fest davon aus", sagte der Zeitgeschichtler am Freitagvormittag zum stern, "dass ich heute verlieren werde".
Genau so kam es. Altkanzler Helmut Kohl kann 135 Tonbänder behalten. Darauf gespeichert sind Gespräche, die er mit Schwan über sein politisches Leben geführt hat. Insgesamt 630 Stunden Zeitgeschichte, die jetzt im Keller von Helmut Kohl und seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter in Oggersheim lagern - was die biografische Einsicht in die letzten vier Amtsjahre (1994-1998) des Kanzlers Kohl erschwert.
Kohls Vertreterin
Immerhin handelt es sich um die dramatischsten Jahre seiner Regentschaft. Jahre, in denen die CDU-Spendenaffäre aufflog, die Kohl später sogar den Schmucktitel des Ehrenvorsitzenden kosten sollte. Bis heute hat er die Namen der Spender verschwiegen, die ihm jahrelang Geld zusteckten, das nicht in den Rechenschaftsberichten der Partei auftauchte.
Das Urteil behindert den Zugang zu Quellen - was offenkundig ganz im Sinne des Altkanzlers ist. Das nährt den Verdacht, dass dahinter auch ein Versuch steckt, Kohls Bild in der Historie zu schönen. Bekanntlich hat er nach einem Treppensturz im Jahr 2008 sein Sprachvermögen weitgehend verloren. Seither, so klagt Schwan, "hat sie das Sagen". Gemeint ist die zweite Ehefrau Kohls, Maike Richter-Kohl. Sie hatte jüngst in einem Interview gesagt, dass sie "die alleinige Entscheidungsbefugnis" über den Nachlass des Altkanzlers haben werde.
Schwans Zerwürfnis
Drei Bände seiner Kohl-Biografie durfte Schwan veröffentlichen, über den vierten, abschließenden Band kam es zum Zerwürfnis mit Maike Richter-Kohl, die ihn von der Verwertung der Originaltonbänder im September 2009 plötzlich ausschloss.
Grund dürfte ein Buch Schwans über Hannelore Kohl gewesen sein, in dem er sich auch kritisch über die Entstehung einer Beziehung zwischen Helmut Kohl und Maike Richter-Kohl geäußert hatte. Und in dem er ihr unterstellte, sie wolle die Erinnerung an Hannelore, diese "ungewöhnliche Frau" einfach "auslöschen." Über den Inhalt dieses Bandes kam es zum Streit, der sich bis zu absurden Auseinandersetzungen um die Satzzeichen verschärfte.
Zielort Konrad-Adenauer-Stiftung
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist zwar juristisch korrekt, in der Sache jedoch absurd. Schwans ist der Inhalt seiner Gespräche noch erinnerlich, auch weil er hinterher Notizen über die besprochenen Themen angefertigt hat. Man darf sicher sein, dass diese Erkenntnisse in eine neue Kohl-Biographie einfließen werden, die Schwan zum 90. Geburtstag Kohls im Jahr 2020 angekündigt hat. Das Buch werde sich, sagt er, daran orientieren, "was bislang unbekannt ist". Und er droht: "Mein Gedächtnis ist erstklassig."
Mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch allein lassen sich zeithistorischen Fragen jedenfalls nicht beantworten. Sinnvoll wäre es, wenn die Quellen aus dem Hause Kohl - neben den Tonbändern geht es um 400 Aktenordner aus seinem Privatarchiv - den Weg in die Konrad-Adenauer-Stiftung finden würden. In den Oggersheimer Keller der Frau Maike Richter-Kohl gehören sie jedenfalls nicht.