Verdi-Chef Bsirske "Ich fantasiere nicht vom Sturz des Kanzlers"

Hamburg - Im Streit zwischen Gewerkschaften und Regierung über die Reform-Agenda 2010 hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, jetzt einen grundsätzlichen Kurswechsel angekündigt. Zugleich ging er in einem Interview mit dem stern demonstrativ auf Bundeskanzler Gerhard Schröder zu, mit dem er sich zuletzt eine heftige öffentliche Auseinandersetzung geliefert hatte. Verdi werde künftig keine nachträglichen Korrekturen an den bereits verabschiedeten Reformen mehr fordern, sagt er. "Es nützt ja nichts, immer wieder danach zu rufen, wenn die Verantwortlichen sagen, sie hielten eisern daran fest." Man müsse jetzt "nach vorne schauen".

Die Bemühungen von SPD-Chef Franz Müntefering, das soziale Profil von Rot-Grün wieder zu schärfen, seien richtig. Bsirske fügte hinzu: "Die Themen hat er auch richtig benannt: Mindestlohn, kommunale Investitionen, Bürgerversicherung, Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen, höhere Steuern auf große Erbschaften und mehr Ausgaben für Bildung." Wenn es gelinge, dies in den nächsten Monaten konkreter zu machen, sei man völlig einig mit der SPD.

Bsirske wies zugleich energisch Vermutungen zurück, dass er den Kanzler stürzen wolle. "Ich fände es absurd, solche Fanatasien zu entwickeln. Ich tue es auch nicht", sagte er dem stern. Es gebe keinen Grund, mit der rot-grünen Bundesregierung abzu-schließen, sondern Grund, Kritik zu üben und sich einzumischen. Er sei bereit, mit Schröder "wieder sachlich über die notwendigen Entscheidungen der nächsten Monate zu sprechen". Bsirske hatte Schröders Politik zuvor für gescheitert erklärt, worauf der Kanzler geantwortet hatte, der Verdi-Chef habe "inhaltlich nichts anzubieten".

Bsirske wandte sich zudem entschieden gegen die Gründung einer neuen Linkspartei, an der auch Funktionäre von Verdi und IG Metall beteiligt sind. "Ich bin dafür, die Auseinandersetzung in den bestehenden Parteien zu führen", sagte er. "Ich möchte keinen Exodus aus den Parteien herbeireden oder organisieren." Verdi trage die Parteigründungsinitiative "in keiner Form" mit und rufe die Gewerkschaftsmitglieder auf, "in den vorhandenen Parteien um den richtigen Kurs zu ringen".