Herr Naumann, Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Denke ich an die Bahn in der Nacht…
…dann werde ich manchmal um den Schlaf gebracht.
So klassisch?
Ja, weil eben viel im System Bahn nicht funktioniert.
Derzeit häufen sich die Ausfälle. Woran liegt's? War's Sturmtief Xynthia, die Technik oder das Geld?
Zum einen ist die Technik nicht so zuverlässig, wie sie sein soll. Die Industrie muss funktionierende Fahrzeuge abliefern und sie nicht nur versprechen. Der zweite Punkt: Die Politik hat jahrzehntelang den Ausbau der Bahn vernachlässigt, das führt zu Engpässen und Verspätungen. Wenn aber riesige Schneemengen runterkommen und Bäume umfallen, kann die Bahn daran genauso wenig ändern wie der Autofahrer.
Machen wir es konkret: Wo haben die Bahnfahrgäste dieses Jahr Behinderungen zu erwarten?
Dauerbrenner sind die Berliner S-Bahn und das Problem mit den ICE-Achsen, das bis 2012 weiter bestehen wird. Das heißt, bis dahin müssen mehr Züge gewartet werden als geplant. Deswegen ist das Kontingent fahrbereiter Züge sehr knapp. Betroffen sind die Hauptstrecken der ICE-Züge, besonders kritisch beispielsweise ist die Strecke Köln-Frankfurt, weil dort ausschließlich ICE-Züge der Baureihe drei fahren können. Aber auch bei allen Neigezügen im Regionalverkehr gibt es Probleme.
Was können die Gäste tun - ihr Geld zurück fordern?
Es gibt ja die gesetzlich verbrieften Fahrgastrechte. Das heißt: Ab einer Stunde Verspätung kriegt man 25 Prozent des Fahrpreises zurück. Wenn ein Zug ausfällt, hängt es davon ab, wann der nächste Zug fährt. Wenn er in 10 Minuten kommt, ist das ja relativ harmlos. Wenn ich aber über Berlin nach Rostock will und zwei Stunden später dort bin, dann habe ich den Anspruch, 50 Prozent wiederzubekommen. Oder ich breche die Reise ab und bekomme dann 100 Prozent zurück.
Angeblich fehlen der Bahn 500 Millionen Euro jährlich für den Ausbau ihres Schienennetzes. Stimmt das?
Der Bedarf ist eher noch höher. Die Bahn braucht insgesamt 5 Milliarden Euro pro Jahr - bekommt aber zurzeit nur 3,7 Milliarden. Davon geht ein großer Teil in die Bestandsinvestition und der kleinere Teil in den Neuausbau, das ist bei weitem zu wenig.
Spiegeln die Zahlen für den Ausbau nicht vor allem das Wunschdenken von Politikern, die in ihrem Wahlkreis die bestmögliche Anbindung haben wollen?
Nein. Wenn Sie nur die sinnvollen Projekte auf den Wunschlisten nehmen, kommen Sie auf einen Betrag von etwa 30-40 Milliarden für Projekte der nächsten 10-15 Jahre. Heißt: Man bräuchte für den Ausbau des Netzes mindestens 2 Milliarden jährlich.
Ist das überhaupt realistisch?
Die Politik muss einfach Prioritäten setzten. Es gibt drei Bereiche, in die man Geld stecken muss: In die Ausbildung, in die Infrastruktur und in die Forschung. Wenn ich das nicht tue, mache ich Arbeitsplätze unsicher und habe in Zukunft ein großes Problem.

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Wenn Sie streichen müssten - was würden Sie streichen? Ist Stuttgart 21 überhaupt noch finanzierbar und vertretbar?
Stuttgart 21 ist sicherlich extrem problematisch. Das Projekt zu streichen würde insgesamt etwa 2 Milliarden bringen. Es löst aber nicht das Gesamtproblem. Ich plädiere dafür, erstmal eine Zielvorstellung zu entwickeln, wie das Bahnnetz in 2020 aussehen soll. Daraus ergibt sich, wo ausgebaut werden muss. Die Schweizer haben das beispielsweise gemacht und haben jetzt ein recht gutes Netz.
Wenn die Finanzen nicht stimmen: Kommt es in Zukunft zum "Verkehrsinfarkt", wie manche Oppositionspolitiker befürchten?
Das ist in manchen Gebieten eine durchaus realistische Befürchtung.
Hat Ramsauer einen Plan, die Bahn wieder in Schuss zu bringen?
Es gibt zumindest Ideen. Er will den sogenannten "Deutschlandtakt" von einem externen Unternehmen durchrechnen lassen. Ich hoffe, das setzt er auch um. Und er hat ja auch schon mehrfach geäußert, dass man die Bahn fördern muss. "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", heißt es ja bei Goethe.
Eine zweite Großbaustelle ist die Berliner S-Bahn. Sie liefert nur noch ein "Rumpfangebot". Sind die Berliner von der Bahn finanziell ausgequetscht worden?
Bei der Berliner S-Bahn ist es so, dass die Räder und Achswellen der Züge nicht vernünftig vom Hersteller gefertigt worden sind. Dafür kann man die Bahn nicht in Haft nehmen. Auf der anderen Seite gibt es andere problematische Führungsfehler: Schließung der Werkstätten, übermäßige Rationalisierung, da fehlte es an Verstand.
Wer ist denn nun schuld: die Hersteller oder die Bahn?
Das lässt sich nur schwer von Außen feststellen. Aber Siemens und Bombardier haben Verträge mit der Bahn abgeschlossen. Und wenn ein Hersteller einen zweistelligen Millionen-Betrag von sich aus in die Hand nimmt, um die Probleme zu beheben, wird das seinen Grund haben. Die Industrie würde niemals solch ein Angebot machen, wenn sie sicher wäre, dass sie keine Schuld trifft.
Das Verkehrsministerium plant eine Gesetzesänderung: Die Hersteller sollen stärker in die Pflicht genommen werden. Gute Idee?
Mit Sicherheit. Es kann nicht sein, dass Unternehmen Fahrzeuge ausliefern, die nicht funktionieren. Es muss ein transparentes Zulassungsverfahren für die Fahrzeuge geben, das einmal stattfindet und das muss dann reichen.
Ist Bahnchef Rüdiger Grube eigentlich ein Fortschritt im Vergleich zu Hartmut Mehdorn - aus Verbraucherperspektive betrachtet?
Herr Grube ist jemand, der ausgesprochen ausgleichend wirkt. Ob er den nötigen Drive hat, alles durchzusetzen ist eine andere Frage. Aber zumindest hat er das Klima der Beziehungen zu Kunden und Politik deutlich entschärft. Insofern ist er keine schlechte Wahl.
Die Bahn zuletzt im Dezember die Preise erhöht - wird es dieses Jahr Erhöhungen geben?
Natürlich sind Preiserhöhungen sehr ärgerlich, aber da lässt sich nicht viel machen. Autofahren wird auf Dauer ebenfalls sehr viel teurer. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Mobilität Geld kostet - das ist ja auch kein Grundbedürfnis wie Wasser und Brot. Natürlich gibt es beispielsweise im Nahverkehr Blödsinnigkeiten in den Tarifen, aber im Großen und Ganzen ist die Preispolitik in Ordnung.
Dafür werden dann vielleicht die Preise im Zugrestaurant niedriger.
So schlimm finde ich die nicht mehr. Ich kann dort zwischen acht und zwölf Euro ein vernünftiges Essen bekommen, das zahle ich in jedem Restaurant. Ein halber Liter Cola kostet rund 3 Euro. Die Qualität der Versorgung ist sogar wesentlich besser als bei mancher Airline.
Was essen Sie denn am liebsten in der Bahn?
Den Salat mit Körnern, oder den Salat mit Schinken und Käse. Und ich trinke grünen Tee. Die haben da einen sehr guten grünen Tee. Das Wasser im Restaurant ist meist nicht heiß genug für schwarzen Tee, aber ideal für grünen. Der wird nämlich bei 80 Grad gebrüht.
Karl-Peter Naumann, 60
Karl-Peter Naumann ... ist seit 1996 Chef des Fahrgastverbandes "Pro Bahn" und Vizevorsitzender der "Allianz pro Schiene". Er ist seit den 80er Jahren verkehrspolitisch aktiv und war Gründungsmitglied des Verkehrsclub Deutschland.