Visa-Ausschuss Eklat wegen fehlender Akten

Die Aussage eines ehemaligen Diplomaten hat für Aufregung im Visa-Ausschuss gesorgt. Der frühere Konsularreferent zitierte aus Akten, die dem Ausschuss nicht vorlagen - und die vom Anfang der 90er Jahre stammen.

Als "unvernünftig und inhuman" hat ein ehemaliger Diplomat der deutschen Botschaft in Kiew die Auswirkungen der Visa-Politik in der Ukraine Anfang der 90er Jahre kritisiert. Der frühere Rechts- und Konsularreferent Nikolai von Schoepff sagte am Donnerstag vor dem Visa-Ausschuss des Bundestages, damit sei Missbrauch gefördert worden. Zu einem Eklat führten seine Zitate aus Akten des Auswärtigen Amtes, die dem Ausschuss unbekannt waren. Ausschussvorsitzender Hans-Peter Uhl ließ die Sitzung für knapp eine Stunde unterbrechen.

"Zweitausend Mann auf der Straße, keine Toilette, in der Hand der Mafia." Mit diesen Worten fasste Schoepff die Lage vor der Visa-Stelle zusammen, für die er von 1993 bis 1996 zuständig war. In der Warteschlange auf der Straße hätten sich mehrere tausend Antragsteller gedrängt, die Mafia habe Warteplätze verkauft und dort die Regie geführt. Bei Schießereien zwischen konkurrierenden Mafia-Banden habe es Tote gewesen.

"Totale Desinteresse"

Alle Versuche, beim Bundesinnenministerium Unterstützung durch den Einsatz verdeckter Ermittler zu erhalten, seien gescheitert. Die Zentrale damals in Bonn habe "totales Desinteresse, totales Desinteresse" gezeigt, rief Schoepff erregt aus. Dabei sei Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), der die Botschaft besucht habe, von der Lage erschüttert gewesen.

Erheblichen Streit löste im Ausschuss die Frage aus, ob Schriftstücke aus dem Auswärtigen Amt, die Ermessensspielräume für die Visa-Beamten eingeschränkt hätten, Weisungscharakter hatten. Schoepff bejahte das, Vertreter von Union und FDP äußerten erhebliche Zweifel. Schoepff selbst bewertete den Streit über den Charakter der Schriftstücke als Beleg für "die schlampige Art, wie im Auswärtigen Amt gearbeitet wurde".

Das in seinen negativen Auswirkungen Rot-Grün zur Last gelegte Reisebüroverfahren wurde laut Aussage in einem Erlass von 1993 erstmals erwähnt. Der Grünen-Obmann im Ausschuss, Jerzy Montag, erklärte, im Gegensatz zur Darstellung der Opposition habe sich beim Reisebüroverfahren "eine interessante Kontinuität" ergeben.

Weitere Missbrauchsmöglichkeiten

Weitere Visa-Missbrauchsmöglichkeiten hätten sich im Bereich der so genannten Kontingentflüchtlinge und Aussiedler ergeben, berichtete Schoepff. Massenhaft hätten Berliner Sozialhilfeempfänger Einladungen an Ukrainer ausgestellt, die sie nicht gekannt hätten, teilweise zehn Stück pro Tag. Die ukrainische Mafia und der ukrainische Geheimdienst hätten die so genannten Ortskräfte in der Visa-Stelle durchsetzt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Von Schoepff stammt ein Drahtbericht vom Oktober 1994, in dem er den vom Auswärtigen Amt "gewünschten Grundsatz für die Visa-Abfertigung" mit den Worten "Im Zweifel für den Antragsteller" zusammenfasste. Der Ausschuss soll die Gründe für die massenhafte Visa-Erschleichung besonders in der Ukraine aufklären.

Union und FDP machen dafür vor allem den so genannten Volmer-Erlass vom März 2000 verantwortlich. Darin hatte Rot-Grün den Grundsatz "Im Zweifel für die Reisefreiheit" festgeschrieben. Schoepff berichtete, eine mündliche Weisung vom Mai 1994 habe bereits den Grundsatz festgelegt: "So viel Reisefreiheit wie möglich, so viel Kontrolle wie nötig."

AP
AP