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Sexuelle Belästigung Nach Recherchen von stern und Correctiv: Schwere Vorwürfe der Personalratschefin an die WDR-Chefs

Nach Recherchen von stern und Correctiv – schwere Vorwürfe der Personalratschefin an die Chefs des WDR
Nach Recherchen von stern und Correctiv – schwere Vorwürfe der Personalratschefin an die Chefs des WDR
© Stern-Montage; Fotos: Ulrike Blitzner / DPA / Imago Images
Ein ARD-Korrespondent zeigte einer Praktikantin im Hotelzimmer Pornos. Die Konsequenz auf diese Art der sexuellen Belästigung halten manche für sehr gering. Beim WDR sorgt die Enthüllung nun mächtig für Ärger – und für einen Rücktritt.
Von Wigbert Löer und Marta Orosz

Christine Seitz ist Chefin des Personalrats des Westdeutschen Rundfunks (WDR), die oberste Vertreterin der Mitarbeiter. Heute Morgen hat sie schwere Vorwürfe erhoben, die auch den WDR-Intendanten Tom Buhrow und den WDR-Fernsehdirektor betreffen. Sie wirft der Senderspitze vor, eine Ahndung von "Machtmissbrauch und Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen" in dem öffentlich-rechtlichen Sender nicht ausreichend zu gewährleisten.

Anlass sind Recherchen des stern und des Recherchezentrums Correctiv. Kurz zusammengefasst: stern und Correctiv haben diese Woche über einen Fall sexueller Belästigung berichtet. Ein langjähriger Auslandskorrespondent musste sich rechtfertigen, während einer Dienstreise hatte er 2012 einer Praktikantin im Hotelzimmer bei Champagner einen Pornofilm vorgeführt. Einer WDR-Mitarbeiterin hatte der Korrespondent in einem längeren Email-Wechsel sexuelle Avancen gemacht. Der Korrespondent selbst wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Er arbeitet weiter für den WDR und berichtet in der ARD. Eine Abmahnung erhielt er nicht, jedoch eine Ermahnung. Eines der Opfer hält diese Sanktion für enttäuschend.

Auf Anfrage des stern äußerte sich im Rahmen der Recherchen eine Sprecherin des WDR zu dem Fall. Man habe beim WDR in den vergangenen zehn Jahren sieben Fälle von sexueller Belästigung verfolgt, "mit dem Maximum an rechtlichen und disziplinarischen Möglichkeiten".

Aus Protest: Die Chefin des WDR-Personalrats zieht sich aus einem wichtigen Gremium zurück

Bei diesem Satz beließ die WDR-Sprecherin es – mutmaßlich nach Abstimmung mit der Senderspitze – allerdings nicht. Was sie noch schrieb, dem stern und später auch dem "Kölner Stadt-Anzeiger", verärgert die Personalratschefin Christine Seitz. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme der WDR-Sprecherin:

"Auf Initiative des Intendanten wurde 2015 zusätzlich zu bestehenden Instrumenten mit dem Personalrat eine Dienstvereinbarung eingeführt. Ein Opfer kann sich an ein interdisziplinär besetztes Interventionsteam wenden, darunter auch ein Mitglied des Personalrats und die Gleichstellungsbeauftragte. Dieses Team hat das Mandat, Hinweise zu prüfen und arbeitsrechtliche Konsequenzen vorzuschlagen, die dann von der Personalabteilung umgesetzt werden."

Dieser Teil der Erklärung der Sprecherin ist für die Personalratschefin höchst problematisch. Sie teilte heute Morgen der WDR-Belegschaft per E-Mail mit, dass sie in dem Interventionsteam gegen sexuelle Belästigung nicht länger mitarbeite. Darüber hinaus stelle sie auch ihre Bemühungen um eine Neufassung der Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung ein.

Konkrete Vorwürfe an Tom Buhrow und Jörg Schönenborn

Der Grund für diesen barschen Entschluss: Christiane Seitz sieht die Verantwortung "auf den Kopf gestellt" in der Darstellung der WDR-Sprecherin. Darin, schreibt die Chefin des Personalrats in ihrer Mail an die Mitarbeiter, würden nämlich "der Personalrat und die Gleichstellungsbeauftrage Schwarzer-Peter-artig in den Vordergrund geschoben – als seien sie die Handlungsmächtigen (Subtext: die Nicht-Handelnden) in dieser Angelegenheit".

Christiane Seitz hält fest: "Vorgesetzter des betreffenden Auslandskorrespondenten ist der Fernsehdirektor (Jörg Schönenborn, Anm. d. Red.), dessen Vorgesetzter ist der Intendant des Westdeutschen Rundfunks (Anmerkung der Redaktion: Tom Buhrow). Weder wird in diesem Haus der Personalabteilung eine eigenmächtige Rolle in brisanten Personalien zugestanden. Und schon gar nicht dem Personalrat oder der Gleichstellungsbeauftragten."

Der Vorwurf der Chefin des Personalrats lautet also, dass der Fernsehdirektor Jörg Schönenborn sich in dem von stern und Correctiv aufgedeckten Fall hinter anderen Gremien verstecke und nicht die Verantwortung übernehme.

Zum Umgang mit Machtmissbrauch: Vorschläge des Personalrats seien "ins Lächerliche gezogen" worden

Damit ist die Chefin des Personalrats aber noch nicht fertig. Sie schreibt weiter in ihrer Mail, der Personalrat habe "immer wieder vergeblich gefordert, im absolut hierarchisch geprägtem WDR eine wirklich umfassende, strukturelle Kontrolle und Ahndung von Machtmissbrauch und Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen zu gewährleisten".

Und dann erhebt sie einen weiteren, einen scharfen Vorwurf: "Derartige Vorschläge von unserer Seite wurden teils ins Lächerliche gezogen, teils als überflüssig oder 'zu aufwändig' erklärt. Sie wurden abgelehnt, verwässert oder aufgeschoben."

Die Chefin des Personalrats zählt auf, was der Personalrat alles vorgeschlagen habe: "Anspruch auf Konflikt- und Sozialberatung, Klimaanalysen in wirklich allen Abteilungen, transparente Bewertung von Vorgesetzten, psychische Gefährdungsbeurteilung usw. usf." Sie nennt das "ganz 'normale' Instrumente in anderen Unternehmen".

Dafür aber, schreibt sie am Ende ihrer E-Mail, brauche es "den Willen der WDR-Spitze, das seelische und körperliche Wohl der Beschäftigten als zentrales Anliegen zu sehen und danach zu handeln".

Die Sprecherin des WDR kommentierte die Stellungnahme der Personalratschefin gegenüber stern und Correctiv mit einem Satz: "Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Personalratsvorsitzende ihre Mitarbeit im Interventionsteam eingestellt hat und können die Begründung nicht nachvollziehen." Auf die konkreten Vorwürfe ging sie nicht ein.

Diese Recherche ist eine Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum correctiv.org.

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