Ex-Oberbürgermeister Wechsel ins Wagenknecht-Lager: SPD-Politiker Geisel rechnet mit Genossen ab

Thomas Geisel (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von Düsseldorf
Thomas Geisel (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von Düsseldorf
© Florian Gaertner/ / Picture Alliance
Thomas Geisel, seit 40 Jahren SPD-Mitglied und einst Düsseldorfer OB, kehrt seinen Genossen den Rücken – und wendet sich Sahra Wagenknecht zu. In einer Art Rundschreiben kritisiert er die SPD scharf.  

Huch? Es ist 12.19 Uhr, als eine E-Mail das politische Berlin aufhorchen lässt. Es ist eine Einladung. Kommenden Montag will der Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) den nächsten Schritt gehen, die offizielle Parteigründung am Mittag vor der Hauptstadtpresse präsentieren. So weit, so bekannt. Allerdings wird in der Einladung auch ein Teil des künftigen Personals aufgelistet, mit dem die abtrünnige Ex-Linke Wagenknecht offenkundig ihre neue Partei zum Erfolg führen will. Darunter: der frühere Linken-Abgeordnete Fabio De Masi und Thomas Geisel

Vor allem die zweite Personalie sorgt für Aufsehen. Denn Geisel, 60, ist seit 40 Jahren SPD-Mitglied und war einst Düsseldorfer Oberbürgermeister (2014 - 2020). Trotz seiner Abwahl liebäugelte er offenbar mit einer erneuten OB-Kandidatur. Warum der Wechsel?

Kurz nach der Einladung zur Pressekonferenz kursiert in SPD-Kreisen eine Art Erklärungsschreiben. Gezeichnet: "Euer Thomas Geisel". Das Schreiben, datiert auf heutigen Donnerstag, liegt dem stern vor. Zuerst hatte die "Rheinische Post" darüber berichtet. Der etwas mehr als zwei DIN-A4-Seiten lange Brief ist eine Rechtfertigung für den Wechsel ins Wagenknecht-Lager – und eine Abrechnung mit der SPD.

"Wie Ihr Euch vorstellen könnt, ist mir diese Entscheidung nicht leichtgefallen", schreibt Geisel darin. Erst vor Kurzem sei er für seine 40-jährige SPD-Mitgliedschaft geehrt worden. "Ich habe damals gesagt, dass sich jeder darauf verlassen könne, dass ich mein Leben lang Sozialdemokrat bleiben würde." Daran solle sich auch nichts ändern, schreibt Geisel weiter. Allerdings wecken die weiteren Zeilen daran erhebliche Zweifel. 

"In der heutigen SPD heimatlos geworden"

Denn Geisel will laut eigenen Angaben nicht nur ein Unterstützter im Hintergrund sein. Er wolle die BSW-Liste für die Europawahl im Juni diesen Jahres anführen, gemeinsam mit De Masi, schreibt er. Ob Geisel dafür auch in die neu gegründete Wagenknecht-Partei eintritt und folglich die SPD verlässt, geht aus dem Schreiben zwar nicht hervor. Die BSW-Kandidatur dürfte aber kaum mit (s)einer SPD-Parteimitgliedschaft vereinbar sein. 

Dieser Ansicht sei auch die Düsseldorfer SPD-Chefin Zanda Martens, wie die "Rheinische Post" berichtete. So sei am Donnerstagnachmittag noch keine Austrittserklärung eingegangen, sagte Martens der Zeitung zufolge. Falls das jedoch ausbleibe und sich Geisel für die Wagenknecht-Partei engagiere, müsse ein Parteiausschlussverfahren auf den Weg gebracht werden. 

Seine politische Heimat sieht Geisel dem Brief zufolge sowieso nicht mehr in der SPD. Sozialdemokraten in der Tradition von Willy Brandt oder Helmut Schmidt seien "in der heutigen SPD heimatlos geworden", heißt es in dem Schreiben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Darauf folgt die Generalabrechnung eines offensichtlich verbitterten Genossen. Gegen eine Wirtschaftspolitik, bei der man es den Grünen überlasse, "die Industrie mit Verboten gängeln, mit Bürokratie quälen" würden und aus dem bewunderten "'Modell Deutschland' der Ära Helmut Schmidt" einen "Sanierungsfall" gemacht hätten. Gegen soziale "Wohltaten, etwa im Rahmen des so genannten 'Doppel-Wumms'", die "auf Pump zu Lasten zukünftiger Generationen ausgeschüttet" würden. Oder gegen die Asylpolitik der SPD, die seit Jahrzehnten eine "ideologisch getriebene Politik der Realitätsverweigerung" sei, weil diese beispielsweise "ungesteuerte Zuwanderung" zulassen würde. 

Auch mit der Gesellschafts- und Friedenspolitik seiner Partei geht Geisel hart ins Gericht. Er kritisiert beispielsweise, dass die SPD-geführte Bundesregierung das Land "kriegstüchtig" machen wolle und eine "beispiellose Aufrüstung" betreibe. Geisel betont zwar, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine führe. "Aber Deutschland sollte ihn nicht mit Waffenlieferungen befeuern, sondern dazu beitragen, dass er so schnell wie möglich beendet wird."    

In der SPD wird Geisels Schritt, nun ja, zur Kenntnis genommen. "Er hatte Verdienste und ich bedauere, dass er sich nun selbst ins Aus setzt", sagte Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, zum stern. "Wahrscheinlich hat er Langeweile."  

Geisel jedenfalls sei überzeugt, wie er weiter schreibt, dass vor allem diejenigen eine politische Heimat im "Bündnis Sahra Wagenknecht" finden würden, die von der SPD enttäuscht seien. Geisel zeigt sich voll des Lobes für eine "Wirtschaftspolitik mit Sachverstand" und "linke Ordnungspolitik", für die das BSW stehen würde. Er habe die politische Karriere Wagenknechts lange beobachtet, sie in den vergangenen Tagen mehrmals getroffen. "Selbstverständlich muss jeder für sich entscheiden, welchen Weg er einschlagen möchte", schreibt Geisel. Seine Entscheidung sei gefallen. 

Auf WDR-Anfrage sagte Geisel, dass er vor Montag zu seinem Engagement beim BSW keinen Kommentar abgeben werde. Auch die "Rheinische Post" ließ Geisel der Zeitung zufolge abblitzen, wolle sich über das Schreiben hinaus nicht vor dem anstehenden Termin zu den Details äußern. 

Es scheint erstmal alles gesagt. 

fs / nsp