Wolfgang Clement Buckeln war nie sein Ding

  • von Hans Peter Schütz
Er sagt, was er denkt. Deshalb droht Wolfgang Clement nun der Ausschluss aus der SPD - er ist der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti in den Rücken gefallen. Ein typischer Clement. Denn schon immer ist der Sponti mit deftigen Sprüchen angeeckt.

Ziemlich spät dran, die SPD, wenn sie jetzt den Genossen Wolfgang Clement, 65, aus der Partei feuern will. Dass er gesagt hat, wer die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu wählen gedenke, möge sich das gut überlegen, ist für seine Verhältnisse eine eher zurückhaltende Bemerkung. Wolfgang Clement, Journalist, Ex-SPD-Sprecher, Ex-NRW-Ministerpräsident, Ex-Bundeswirtschaftsminister kann auch ganz anders.

Zum Beispiel sagte er im vergangenen Jahr über das neue Grundsatzprogramm der SPD: "Ein schreckliches Sammelsurium der politischen Phraseologie." Bei der Lektüre sei er schier "auf halber Lesestrecke weggedämmert". Im stern hatte Clement jüngst erklärt: "Die SPD ist heute falsch gepolt. Sie hat die Reformpolitik nicht verinnerlicht und klammert sich an ein überkommenes Sozialstaatsverständnis." Hat er schon mal über den Austritt aus der SPD nachgedacht? "Jedenfalls nie öffentlich." Also er hat. Was ist die Devise der großen Koalition? "Es gilt das gebrochene Versprechen." Und ganz im Ernst hat sich der Sozi Clement den Christdemokraten Friedrich Merz als Nachfolger im Amt des Wirtschaftsministers gewünscht.

Clement ist um schnelle Kommentare nie verlegen

Clements Spezialität waren immer provozierende Äußerungen ohne jede Rücksicht darauf, ob sie in die politische Lage passten. So wie jetzt in Hessen, eine Woche vor einer Wahl, bei der es für die SPD um viel geht. Gutmeinende Genossen haben Clement gerne einen Sponti genannt. Halt einer, der schnell mit einem flotten Spruch provoziert und erst anschließend nachdenkt. Er komme zu oft "wie Zieten aus dem Busch", klagt selbst Finanzminister Peer Steinbrück, der Clement an sich freundschaftlich verbunden ist.

Mal wollte Clement als Minister Feiertage streichen, mal den Ladenschluss abschaffen, dann verlangte er niedrigere Unternehmenssteuern, wollte den Sparerfreibetrag streichen. Beinahe jeden Tag sprang er seiner SPD einmal auf die Zehen, mindestens.

Er war der Prügelknabe der Regierung Schröder

Doch gerne verdrängten seine Kritiker, dass sie Clement sehr oft anstelle von Kanzler Gerhard Schröder prügelten. Dass sie vorzugsweise bei Clement die politische Verantwortung für zeitweise mehr als fünf Millionen Arbeitslose abluden. Er war auch der Prügelknabe für alles, was die Agenda 2010, die heute alle loben, der SPD anfänglich zumutete. Als ob kein SPD-Parteitag die Hartz-Gesetze abgesegnet hätte. Schröder machte schnell einen schlanken Fuß, als der Unmut in der Partei über den neuen Kurs wuchs. Die Quittung: Bei seiner letzten Wahl zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden bekam Clement 2003 nur noch 56,7 Prozent. Und das ohne Gegenkandidat. Aber Clement wäre nicht Clement, hätte er die Abfuhr nicht mit dem Satz kommentiert: "Das war der Höhepunkt meines politischen Lebens in der SPD."

Was Genossen wie Peter Struck oder Hermann Scheer, die ihn jetzt aus der Partei jagen wollen, an ihm stets am meisten zu schaffen machte: sein allemal aufrechter Gang. Buckeln war nie sein Ding. Ebenso wenig die ruhige politische Kugel. Als der gelernte Jurist 2002 das Amt des Superministers für Wirtschaft und Arbeit antrat, sagte er mal schnell so dahin: Jede Woche eine Reform. Ein Mann, der immer mit maximaler Drehzahl tourte. Egal, ob im politischen Geschäft oder beim Joggen. Freunde behaupten, wenn er sich nicht schon am frühen Morgen auslaufe, sei er tagsüber kaum auszuhalten mit seinem Energieüberschuss. Tatendrang war immer sein persönliches Kennzeichen. Sei es als Pressesprecher von Willy Brandt, als Macher in der Staatskanzlei von Johannes Rau oder als dessen Nachfolger als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Recht haben seine Kritiker allerdings mit dem Vorwurf, er habe immer zu vieles zur gleichen Zeit gewollt. "Viele Baustellen, wenig Richtfeste."

Impulsiv und konsequent

In Clements Zeit bei Willy Brandt fällt eine Episode, die alles darüber sagt, wie Clement tickt. Als Rau bei der Bundestagswahl 1987 die absolute Mehrheit für die SPD als Wahlziel propagierte, ließ Brandt süffisant aus dem Urlaub in Südfrankreich wissen, "42 Prozent seien doch auch ein schönes Ergebnis." Daraufhin warf Clement, damals auch SPD-Bundesgeschäftsführer, der SPD-Ikone wütend dieses Amt fristlos vor die Füße. Abends soll er zu seiner Frau unter die Bettdecke gekrochen sein mit der Bemerkung: "Ich bin arbeitslos."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ein Politiker zum Kuscheln war Clement nie. Dafür hatte er zu viel Tempo. Immer bewahrte er seine Unabhängigkeit. Dass die SPD sich heute von der Agenda 2010 abwendet, hat er seiner Partei, die ihn zeitweise sogar als eine Art Reservekanzler handelte, nie verziehen. Einer müsse ja Kurs halten, hat er auf die Kritik aus den eigenen Reihen stets geantwortet. Zweifel an dem, was er tut oder sagt, sind ihm stets fremd gewesen.

Das Prinzip Tempo hat er auch in den politischen Ruhestand mitgenommen, der in Wahrheit keiner ist. Als Pensionär sei er heute mehr unterwegs, sagt Clement, als zu Ministerzeiten. Von wegen Ruhestand im Haus in Bonn-Plittersdorf. Er arbeitet für die Zeitarbeitsfirma Adecco, als Aufsichtsrat für den Berliner Dienstleistungskonzern Dussmann und sitzt im Aufsichtsrat beim Energiekonzern RWE. Vermisst er Berlin? "Nein!" Und die SPD? "Ich bin und bleibe in der SPD, weil ich zu ihren Grundwerten stehe und immer stand."

Es ist erst ein paar Wochen her, dass er dies im stern gestand.