Als Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag seine Rede hielt, dachte ich kurz, er wolle mir einen riesigen Gefallen tun. Nein, keine Steuersenkung. Viel besser. Der Parteichef hatte schon eine knappe Stunde gesprochen, da warf er unvermittelt die alles entscheidende Frage auf: "Wie geht es weiter mit der FDP?" Ich war wie elektrisiert, sprang vom Sofa auf und brüllte den Fernseher an: "Ja, Herr Lindner, sagen Sie’s mir!"
Die Frage klingt so banal, doch hängt an ihr die ganze deutsche Politik, angefangen beim Kanzler. Und das seit Monaten, ach was, seit Jahren. Es gibt viele Varianten dieser Frage: Bleibt die FDP in der Koalition oder geht sie? Schmeißt Lindner wieder hin oder hält er diesmal durch? Halten die Liberalen es mit den Grünen noch aus oder nehmen sie Reißaus? Hält die Ampel oder zerbricht sie? Alle Varianten laufen immer auf die Frage hinaus, die Lindner auf dem Parteitag in so wunderbarer Schlichtheit stellte: "Wie geht es weiter mit der FDP?"
Und diesmal hatte ich tatsächlich die Hoffnung, er würde endlich eine Antwort geben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich er mich damit gemacht hätte. Ich hätte vielleicht den Bildschirm geküsst. Ich hätte auch mehr (!) Steuern gezahlt, wenn er sich festgelegt hätte. Womöglich hätte ich sogar FDP gewä…, na ja, das führt jetzt ein bisschen weit weg.
Es ist nämlich so: Ich kann diese Frage nicht mehr hören. Sie fehlt seit Beginn der Ampelkoalition in fast keiner Talkshow. Sie frisst sich wie die kleine Raupe Nimmersatt durch die Kommentare der Medien, stern inklusive, auch durch meine. Kein Gespräch unter Kollegen, in dem sie nicht früher oder später gestellt wird. Mit dem Gegenwert der Wetteinsätze – Abendessen, Weinflaschen, Kinokarten –, die inzwischen verbucht sind, könnte die Ampel wahrscheinlich ein Gutteil ihres Haushaltslochs stopfen.
Lust auf Krawall statt echtes Interesse an Politik
Was mich angeht, so blockiert mich diese Frage längst im Kopf, und am Kopf kommt sie mir zu den Ohren raus. Es ist mir auch völlig egal, ob die FDP geht oder bleibt, ich will nur, dass es aufhört, bitte, bitte. Ich will nur, dass die Frage nicht mehr gestellt wird.
Es ist nämlich eine sinnlose Frage, jedenfalls solange sie sich Moderatoren, Politiker und Journalisten untereinander stellen. Wir können alle nur spekulieren, und nur einer kann sie beantworten: Lindner. Der ist natürlich auch schon Tausende Male gefragt worden, aber er hat sich nie festgelegt. Das lässt sich leicht erklären: Er ist der Einzige, der etwas davon hat, wenn die Frage immer wieder gestellt wird. Sie macht die FDP wichtiger, als sie ist.
Natürlich ist es die Koalition, die der Frage immer wieder neue Nahrung gibt, vor allem die FDP mit ihrem ewigen Sowohl-als-auch. Aber ich finde, wir Journalisten machen uns klein, wenn wir immer wieder darauf anspringen wie Hunde, die Stöckchen holen. Diese Frage zeugt eher von der Lust auf Krawall als von echtem Interesse an Politik. Es ist auch insofern keine journalistische Frage, als die Frequenz, in der sie gestellt wird, sich diametral zum Interesse der meisten Bürgerinnen und Bürger verhält. Wir wollen immer wissen, wie lange die Ampel noch hält, aber die Leute wollen eigentlich nur, dass die Ampel ihren Job macht, egal, wie lange es sie noch gibt.
Christian Lindner hat die Frage auf dem Parteitag übrigens nicht beantwortet. Ich zahle also nicht mehr Steuern. Von dem gesparten Geld kaufe ich mir Ohrstöpsel.