Es ist ein heißer Sommertag, so wie damals, am 17. Juni 1953. Zwei Berliner erzählen, wie sie den DDR-Volksaufstand erlebt haben. Ihren Schilderungen nach könnten es verschiedene Ereignisse gewesen sein. Jürgen Rhode war DDR-Bürger, wurde auf dem Potsdamer Platz eingekesselt, und flüchtete anschließend in den Westen. Der West-Berliner Wolf Rothe arbeitete am 17. Juni in einem Flüchtlingslager und machte pünktlich Feierabend.
Rohde ist heute 68 Jahre alt. Als er in den Strudel des Volksaufstandes geriet war er gerade 18. Damals war er als ungelernter Arbeiter für den VEB Industriebau am Wiederaufbau der Staatsoper Unter den Linden beteiligt. Am 16. Juni ging es los, erinnert sich Rohde, der vor Aufregung auf seinem Stuhl hin und her rutscht. "Die Bauarbeiter von der Stalinallee kamen mit ihrem Demonstrationszug bei uns vorbei, und wir schlossen uns an."
"Womöglich sei nicht alles geschichtsfest"
Den Redefluss unterbricht Rohde nur, wenn er die Arme hebt und wiederholt betont, das seien alles nur Erinnerungen, womöglich sei nicht alles geschichtsfest. Der 16. Juni sei der Tag gewesen, "an dem ich die politische Auseinandersetzung bei uns im Land erst richtig wahrgenommen habe". Vorher sei im Bekanntenkreis wohl nach Lohnerhöhungen gerufen und eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Versorgungslage kundgetan worden - doch das nur leise.
Laut wurde es einen Tag später. "Wir hatten uns alle verabredet: 17. Juni, sieben Uhr auf dem Potsdamer Platz", erinnert sich Rohde. Er sei pünktlich und der Platz eine Stunde später voll gewesen. "Ich bin dann noch auf so einen Lautsprecherwagen draufgesprungen, so als Halbstarker", sagt Rohde. Von oben habe er eine gute Sicht gehabt.
"Die Verhältnisse waren chaotisch"
Als die Lage gegen Mittag in Ostberlin zunehmend eskalierte, trat der Westberliner Wolf Rothe seinen Dienst in der Heimleitung eines Rotkreuz-Flüchtlingslagers im Bezirk Tempelhof an. "Die Menschen hier im Westen haben das mit dem Aufstand gar nicht richtig mitbekommen", berichtet der 80-Jährige, der in seinem Ledersessel deutlich unaufgeregter als Rohde über die Ereignisse erzählt. Dass sich im Osten etwas tat, habe er erst am Abend so richtig wahrgenommen, als sich das 2.000 Plätze fassende Flüchtlingslager in der Volkmarstraße zusehends füllte. "Die Verhältnisse waren chaotisch, die Kinder liefen herum. Aber die Menschen haben sich bei uns sofort wohlgefühlt".
Auf dem Potsdamer Platz fühlte sich Jürgen Rohde zu diesem Zeitpunkt nicht wohl. "Auf einmal kamen die Panzer, sowjetisches Militär, alle schwer bewaffnet", erzählt er. Die Demonstranten auf dem Potsdamer Platz seien eingekesselt worden, "die Menge wogte immer hin und her". Zum Westen hin habe es einen Sperrriegel mit Westberliner Polizei gegeben. "War ja klar, die wollten uns auch nicht haben", lächelt Rohde ein wenig traurig.
"Blind in die Menge geballert"
Dann seien die Schüsse gefallen. "Die haben einfach vom Haus der Ministerien - da, wo jetzt der Eichel sitzt - blind in die Menge geballert", sagt Rohde. Eine Kugel sei nur knapp an ihm vorbei gezischt, einen Kollegen habe es am Oberschenkel erwischt.
Für ihn sei das Maß damit voll gewesen. Ohne lange zu überlegen, habe er "nachem Westen rübergemacht". Dort sei er von der Polizei in Empfang genommen und in einem Jugendheim in Spandau untergebracht worden. "Drei Wochen lang haben die mich befragt, aber ich hatte ja nichts zu erzählen. Dann bin ich ausgeflogen worden, in einen kleinen Ort bei Hannover". Rohde arbeitete dort für kurze Zeit als Landarbeiter und kehrte 1955 aus Heimweh in die DDR zurück.
"Irgendwie ist dieser Tag ganz schnell verdrängt worden"
In West-Berlin ging das Leben nach dem 17. Juni 1953 laut Rothe seinen geregelten Gang. "Die Leute saßen beim Kranzler oder flanierten auf dem Ku’damm rum, das war wie immer", sagt er. Das sei eben eine andere Welt gewesen, "da drüben". Vermutlich habe den ein oder anderen Aufständler auch "nur ein wenig die Abenteuerlust getrieben".
Wie seine Bekannten habe er natürlich RIAS gehört und sich informiert, sagt Rothe. "Aber irgendwie ist dieser Tag ganz schnell verdrängt worden. In den Jahren danach sowieso".