Herr Kaminer, sind Sie Deutscher oder Russe?
Es ist so: Meine Heimat ist die Sowjetunion. Meine Muttersprache ist russisch, privat bin ich ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller und mein über alles geliebter Wohnort ist Berlin.
Das wäre also geklärt. Dann beschreiben Sie doch mal Deutschland aus russischer Sicht.
Das ist nicht so einfach: Deutschland steht ja nicht still, es verändert sich ständig und besteht aus so vielen eigenständigen Regionen. Die ehemaligen DDR-Bürger belügen sich selber, wenn sie sagen, sie kommen aus Deutschland. Sie kommen aus der DDR. Das ist ihre Geschichte, ihr sozialer Hintergrund.
Also gibt es gar nicht den typischen Deutschen - ehrgeizig, ordentlich, fleißig?
Es ist absurd, die Leute nach nationalen Merkmalen zu unterscheiden. Jedes Land verfügt über eigene kulturelle Traditionen, die sich natürlich auch auf die Bürger übertragen. Aber so vielfältig wie Deutschland ist kein anderes Land, das ich kenne. Es ist schon bewundernswert, wie unterschiedlich die deutsche Provinz ist. In jedem Bundesland gibt es so viel eigene Geschichte: Das eine Land war von Napoleon besetzt und die Leute halten sich da immer noch für halbe Franzosen. Im Norden wurden andere durch einen Angriff russischer Kosaken von Napoleon befreit und da sehen heute noch viele wie Kosaken aus.
Aber was zeichnet denn die Deutschen besonders aus?
Wollen Sie jetzt etwa die Klischees hören, die die Russen von den Deutschen haben?
Gibt es die etwa nicht mehr?
Natürlich gibt es die. Für die Deutschen sind es der Drang nach Ordnung, Fleiß und dicke Männer mit Hut, die auf Bänken sitzen und Bier trinken. Früher habe ich versucht gegen diese Klischees zu kämpfen. Jetzt habe ich eine neue Taktik: Ich produziere neue Klischees. Je mehr Klischees man hat, desto bunter wird ein Weltbild.
Welches Klischee würden Sie den Deutschen denn gerne zusätzlich verpassen?
Das Klischee vom Deutschen als feurigem Tänzer!
Feurige Tänzer? Sind Sie sicher, dass sie nicht von Spaniern sprechen?
Seit fast fünf Jahren bin ich auch als DJ tätig: Die Deutschen tanzen bei mir zu tausenden acht, neun Stunden lang, wo jeder normale Mensch längst umgefallen wäre, wo ein Russe schon lange unterm Tisch liegen würde.
Was mögen Sie an Deutschland nicht?
Die Bürokratie, aber das ist wohl nicht sehr originell. Wie fast alle, die ich kenne, kann ich nur sehr schwer diese sozialdemokratische, protestantische Bürokratie verstehen. Das ist Wahnsinn. Alles, was dieser Staat anfasst, sei es Kultur, Bildung oder Gesundheit, wird versaut.
Ist wenigstens diese Bürokratie typisch deutsch?
Nein, die gibt es auch anderswo. In Russland war die Bürokratie auch nicht kleiner, aber sie war wenigstens korrupt. Man konnte für Geld das was man dringend brauchte, kaufen.
Es gibt gerade eine Reformdebatte. Schaffen wir die Wende?
Ich bin kein Spezialist für Marktwirtschaft. Aber für mich ist schon klar, dass der Bürokratenstaat nur ein Ziel verfolgen kann: Sich selbst zu vermehren. Selbst wenn man auf die Flagge schreiben würde: "Staat verkleinern!" - Selbst dann würde sich die Bürokratie noch vermehren. Das liegt am Wesen dieses Staates.
Das klingt ziemlich pessimistisch.
Sehen Sie einen Weg? Ich sehe keinen.
Sie haben keine Hoffnung?
Der Staat müßte gemanagt werden. Professionell und von Leuten, denen man ganz klare Ziele vorgibt. Wenn sie die nicht erreichen, fliegen sie. Wer das ist, ist egal: Ob sie SPD, FDP oder ABC heißen. Von mir aus könnten das sogar Vietnamesen machen, wenn sie das besser hinkriegen und für weniger Geld.