Ukraine Putin braucht den Blitz-Sieg – darum ist der Widerstand der Ukraine so wichtig

Ukrainische Panzer fahren in den Einsatz.
Ukrainische Panzer fahren in den Einsatz.
© Wolfgang Schwan / Picture Alliance
Putin greift an und die Ukraine hält stand, auch wenn sie nicht gewinnen kann. Von dem Widerstand profitiert am meisten der Westen, der das Land im Stich gelassen hat.

Am Donnerstag hat Russland sein Nachbarland Ukraine angegriffen. Nach einer kurzen Vorbereitung durch Luft- und Raketenschläge rollten russische Panzer durchs Land. Genauso wie es der Westen in Worst-Case-Szenarien vorhergesagt hat. Hier geht es nicht darum, die selbst ernannten Republiken im Osten um einige Gebiete zu erweitern, es geht auch nicht darum, eine Landverbindung zur Krim zu schaffen. Putins Ziel ist die Zerstörung der gesamten freien Ukraine, so wie wir sie kennen.

Wirklich überraschend ist, wie wenig Zeit sich der Kreml für eine vorbereitende Luft- und Raketenoffensive genommen hat. Ein Grund ist sicher, dass Russland nicht so viele Präzisionswaffen wie die USA zur Verfügung hat und Putin den größten Teil davon aufspart, um den Westen weiter mit Drohkulissen von einer aktiven Unterstützung der Ukraine abzuhalten. Hinzu kommt, dass Russlands Militär in den letzten Jahren das Konzept der "preiswerten Vernichtung" perfektioniert hat. Der intelligente Gebrauch von billigen "dummen" Waffen macht einen Krieg für ein Land wie Russland erst finanzierbar.

Mit dem schnellen Angriff hat Putin Kiew zudem Zeit geraubt. Bei tage- oder gar wochenlangen Luftangriffen hätte sich der Westen vielleicht doch zu einer aktiven Unterstützung aufgerafft. Vielleicht hätte die Ukraine dann eine Finnlandisierung akzeptiert und Putin so um seinen Krieg gebracht. Nun stehen bereits am Tag 2 russische Panzer vor der Hauptstadt Kiew. Auch wenn westliche Experten spotten, man sähe im Wesentlichen eine Form des Krieges wie aus den 1970ern, wird dieser Einwand irrelevant, wenn der "altmodische" Krieg die Ukraine in kürzester Zeit bezwingt. Und Putin braucht den "Super-Blitz".

Je schneller umso mächtiger 

Als Signal nach außen. Je schneller er die Ukraine niederwirft, umso mehr Angst und Schrecken wird die russische Militärmacht verbreiten. Beim Krieg in der Ukraine geht es nicht um die Ukraine allein. Russland will sich als militärische Supermacht präsentieren, der kein Land widerstehen kann. Anders gesagt: Sollte die Ukraine besiegt werden und Belarus noch enger an Moskau heranrücken, werden russische Truppen bald in Lwiw und Brest stehen. Dann wäre Warschau in der gleichen exponierten Lage wie eben noch Kiew.

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Der Krieg in der Ukraine ist nicht populär. Die angeblichen Provokationen der Ukraine sind so plump gefaked, dass sie niemand glauben kann. Unabhängig von Putins Geschichtsklitterung und ideologischen Differenzen sieht die Bevölkerung beider Länder Russen und Ukrainer als Brudervölker. Darum hat sich bis zuletzt kaum jemand diesen Überfall vorstellen können. Noch sind es wenige Mutige, die gegen Putins Krieg demonstrieren, aber sollte der Krieg sich hinziehen und die russischen Verluste steigen, wird die Popularität Putins in den Keller gehen.

Und eins wurde schon am ersten Tag deutlich: Die Russen werden Verluste erleiden. Wegen des Widerstandes der ukrainischen Truppen, aber auch weil das russische Militär eigene Verluste zugunsten von Geschwindigkeit in Kauf nimmt. Bei dieser Mentalität der Generäle wird ein langer Krieg ebenfalls zu großen Verlusten führen. Auch darum braucht Putin einen schnellen Sieg.

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Kiews Widerstand schützt den Westen

Beschämend aber ist vor allem eins: Am meisten braucht der "feige" Westen eine heroische Ukraine. Kiew kann den Krieg nicht gewinnen und könnte – rational gesehen – heute kapitulieren, um dem Land weiteres Blutvergießen und Zerstörungen zu ersparen. Aber für die Westeuropäer wäre ein schneller Triumph Putins ein Albtraum. "Wir" profitieren davon, wenn Russland kein Durchmarsch gelingt, wenn die Ukrainer in aussichtsloser Lage aushalten. Je höher die russischen Verluste und je mühsamer der Kampf, umso mehr wird Putins Großmachtsego gestutzt. Und umso mehr Zeit bleibt dem "Wir schicken 5000 alte Helme"-Deutschland eine halbwegs funktionsfähige Armee aufzubauen.