Kurz vor der Parlamentswahl in Tschechien gerät Ministerpräsident und Umfragefavorit Andrej Babis zunehmend unter Druck. Nach Angaben der sogenannten "Pandora Papers", welche dem internationalen Journalistenkonsortiums ICIJ vorliegen, soll der Multimilliardär im Jahr 2009 ein Landgut in Frankreich erworben haben - über ein intransparentes Offshore-Konstrukt mit mehreren Briefkastenfirmen. An diesem Kauf sei "nur wenig normal" gewesen, schreibt die an den Recherchen beteiligte "Süddeutsche Zeitung".
Andrej Babis weist Vorwürfe zurück
Babis wies die Vorwürfe, er habe etwas zu verbergen, aber sofort entschieden zurück: "Ich habe nichts geklaut, die Gelder waren versteuert", sagte der 67-Jährige am Sonntagabend dem TV-Sender Prima. Seinen Wahlkampf-Endspurt dürfte sich der Gründer der populistischen Partei ANO aber anders vorgestellt haben. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich Schützenhilfe aus Ungarn geholt. Mit seinem rechtsgerichteten Kollegen Viktor Orban besuchte Babis seinen Wahlkreis in Usti nad Labem (Aussig an der Elbe).
In der Industriestadt nahe der Grenze zu Sachsen warnten beide Politiker vor den Gefahren, die Migration mit sich bringe. "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Millionen Menschen aus Afghanistan hierher strömen werden", sagte Orban im Fernsehen. Babis lobte den umstrittenen Grenzzaun im Süden Ungarns: "Wenn es diesen Zaun nicht gäbe, dann würde der kürzeste Weg zu Sozialleistungen in Deutschland über Tschechien führen."
Umfragen deuten auf knappen Wahlausgang
Die strukturschwachen Randregionen Tschechiens könnten die zweitägige Wahl zum Abgeordnetenhaus am Freitag und Samstag entscheiden. Letzte Umfragen sehen zwar Babis als Favoriten - doch es könnte knapp werden. Der Agentur Kantar zufolge würde die ANO auf 24,5 Prozent der Stimmen kommen. Die konservative Gruppierung Spolu (Gemeinsam) mit 23 Prozent und das Bündnis aus Piraten- und Bürgermeisterpartei mit 20,5 Prozent sind ihr dicht auf den Fersen.
Gegen Piraten und Bürgermeister schlägt Babis besonders aggressive Töne an. Sie eiferten für ein "muslimisches Europa" und wollten Migranten in Wohnungen und Datschen zwangseinquartieren, behauptet der 67-Jährige. Vit Rakusan gehört zur Doppelspitze des Oppositionsbündnisses. Er wirft Babis vor, imaginäre Bedrohungen heraufzubeschwören. "Wir sind ein Land, in dem seit der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Fremde leben", betont der Vorsitzende der Bürgermeisterpartei.
Tschechien besitzt 2022 die EU-Ratspräsidentschaft
Auf dem Höhepunkt der dritten Corona-Welle im Frühjahr hatte die Opposition sogar den ersten Platz der Umfragen erobert. Kritiker machten die wechselhafte Politik der Regierung für die insgesamt mehr als 30.000 Pandemie-Toten mitverantwortlich. Babis bemüht sich hingegen, die Impfkampagne als einen Erfolg seines Kabinetts darzustellen. Nur einen Tag vor der Wahl will er sich die dritte Spritze geben lassen. Mehr als die Hälfte der 10,7 Millionen Einwohner Tschechiens sind vollständig geschützt.
In den europäischen Hauptstädten dürfte der Ausgang der Parlamentswahl aufmerksam verfolgt werden. Denn sie entscheidet darüber, wer das Land während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2022 lenken wird. Gerade erst hat sich Babis öffentlich gegen ein Ende des Verbrennungsmotors ab 2035 gestellt, wie es Brüssel fordert.
Vieles von dem sei Wahlkampfrhetorik, sagt der Politologe Josef Mlejnek. Andrej Babis sei ein "pragmatischer Geschäftsmann mit Gespür für unterschiedliche wirtschaftliche Interessen". Im Hintergrund könne er sich ganz anders verhalten als vor dem heimischen Publikum. "Ich würde Andrej Babis nicht am rechten Rand der europäischen politischen Szene verorten", sagt Mlejnek.
Polizei ermittelt wegen verschiedener Vergehen
Der Medienunternehmer und Multimilliardär steht an mehreren Fronten unter Druck: Die Polizei ermittelt gegen Babis wegen mutmaßlicher Erschleichung von EU-Subventionen. Zudem hat die EU-Kommission Fördergeldzahlungen an die von ihm gegründete Agrofert-Firmenholding ausgesetzt. Hintergrund sind Vorwürfe, Babis stehe als Politiker und Unternehmer in einem Interessenkonflikt.
Der Chef der Piraten, Ivan Bartos, fordert in diesem Zusammenhang immer wieder kämpferisch: "Ich will nicht, dass in diesem Land ein Oligarch regiert." Doch an einem lauen Herbstabend zeigt sich der Oppositionspolitiker eher von seiner lässigen Seite. In der historischen Prager Altstadt packt er sein Akkordeon aus. Bartos, der Dreadlocks trägt und einen Doktortitel in Informatik hat, stimmt ein Lied an. "Die Musik spielt und der Tanz beginnt", schallt es im Laternenlicht über die Nationalallee.

Sehen Sie im Video: In einem Telegram-Video behauptet ein Mann, dass die Wahlen in Deutschland durch die verwendeten Urnen leicht manipuliert werden könnten. Doch das stimmt aus mehreren Gründen nicht. Der stern-Faktencheck im Video.