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1. Juni 2009 "Verdammt, wir werden aufschlagen" – die Katastrophe von Air-France-Flug 447

Air France 447 Gilcemar Tabosa
Marineoffizier Gilcemar Tabosa aus Brasilien mit einer Karte der Stelle, an der die Maschine von Air France in jener Nacht in den Atlanik stürzte
© Xinhua / Imago Images
Am frühen Morgen des 1. Juni 2009 stürzt eine Maschine der Air France auf dem Weg von Brasilien nach Paris in den Atlantik. Das Wetter ist schlecht – doch das Unglück hätte verhindert werden können.

Es sind die Panikschreie im Cockpit, die der Stimmrekorder zuletzt aufzeichnet. Das Zeugnis dieser furchtbaren Momente an Bord wird Jahre später eine Rolle spielen in dem Prozess, der eine der schlimmsten Katastrophen der jüngeren Luftfahrt-Geschichte final aufarbeiten soll: den Absturz von Flug AF 447, einer Maschine der Air France auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris. Für die französische Fluglinie ist die Katastrophe von 2009 der schlimmste Unfall in der Unternehmensgeschichte.

Zu hören auf dem Band des Stimmrekorders sind der Kapitän des Airbus A330-203 und seine beiden Kopiloten. "Verdammt, wir werden aufschlagen. Scheiße, das ist nicht wahr", ruft Kopilot David Robert, um 2:14 Uhr Ortszeit in jener Nacht des 1. Juni 2009, heute vor 14 Jahren. Fünf Sekunden später endet die Aufnahme.

Prozess gegen Air France und Airbus entlastet beide Unternehmen

Die Aufzeichnung ist so schmerzlich für die Hinterbliebenen, dass der Voice Recorder nur hinter verschlossenen Gerichtstüren in Prozess abgespielt wird, wie es in Berichten zu der Verhandlung heißt. Der Prozess soll klären, ob die Fluggesellschaft Air France und der Flugzeugbauer Airbus schuld sind an der Katastrophe, bei der 228 Menschen ihr Leben verloren haben.

Sie sind es nicht, wie das Strafgericht in Paris am 17. April 2023 – fast 14 Jahre nach dem Absturz – befindet. Die neunwöchige Verhandlung endet mit Freisprüchen für beide Unternehmen: Weder Airbus noch die Fluggesellschaft tragen eine Mitschuld, so das Urteil. Nach Überzeugung des Gerichts war die Technik der Maschine in Ordnung und die Piloten ausreichend geschult.

Ursache sei allein das Fehlverhalten der drei Flugzeugführer. Sie seien überfordert gewesen in der Notlage: Ausgerechnet der erfahrenste Pilot im Cockpit hatte sich schlafen gelegt, kurz bevor sich das Unglück anbahnte. Die anderen beiden hätten falsch reagiert. Ein anderes Verfahren war bereits 2019 eingestellt worden.

Air France 447 Wrackteile
Im Juni 2009 werden Frackteile der abgestürzten Maschine aus dem Atlantik geborgen

In der Nachschau erscheint der Absturz von Flug 447 der Air France als eine Verkettung falscher Entscheidungen, nachdem die Maschine am Abend des 31. Mai um 19.03 in der brasilianischen Metropole gestartet ist. Die Flugroute führt durch eine Zone mit schweren Gewittern – nichts Ungewöhnliches in der Gegend um den Äquator und an sich eine beherrschbare Situation. Wäre man den Unwettern ausgewichen, hätte die Maschine wohl sicher am kommenden Morgen am Flughafen Paris Charles-de-Gaulle aufgesetzt, wird es in der Bewertung der Ereignisse jeder Nacht Jahre später heißen. Doch die Route wäre länger gewesen mit einer möglicherweise nötigen Zwischenlandung.

Weit nach Mitternacht, etwa um 2.10 Uhr, schlägt die Atmosphäre im Cockpit plötzlich in Panik um. Kurz vor einer Unwetterzone sind die Geschwindigkeitssensoren an der Maschine vereist. Sie senden widersprüchliche Daten, was schließlich dazu führt, dass sich der Autopilot ausschaltet. Der Bordcomputer zeigt an, dass sich das Flugzeug im Sinkflug befindet – eine Fehlinformation. Als Reaktion darauf steuert der Co-Pilot das Flugzeug steil nach oben. In dieser Situation die falsche Entscheidung. Sie führt schließlich zu einem Strömungsabriss. Die Maschine fällt wie ein Stein in den Atlantik.

Air France 447 Nicolas Sarkozy
Am 3. Juni 2009 nehmen der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy und seine Frau Carla Bruni-Sarkozy an einer Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes teil
© IP3press / Imago Images

Das alles geht rasend schnell – vermutlich so rasch, dass die Passagiere nichts bemerkten. Viele waren zum Zeitpunkt des Absturzes nicht angeschnallt, ergab die Untersuchung später. Nur etwa vier Minuten dauert es von dem Moment, als die Piloten den Ausfall der Geschwindigkeitsmessung bemerken bis zum Aufprall.

Zum Zeitpunkt des Unfalls war bereits bekannt, dass die Geschwindigkeitssensoren anfällig für Vereisungen waren. Die Piloten waren deshalb auch geschult worden, wie sie sich bei einem Ausfall der Geschwindigkeitsmessung verhalten müssen.

Eine Folge des Unglücks war, dass diese Pitot-Sonden an den Flugzeugen durch andere Geräte ersetzt wurden. Air France hatte sogar schon vor dem Absturz begonnen, die Sonden in der Flotte auszuwechseln – allerdings nicht an der Unglücksmaschine.

Lange und aufwändige Suche nach dem Wrack

Dass der Absturz überhaupt so akribisch untersucht werden konnte, ist der unermüdlichen Suche nach den Trümmern des Flugzeugs zu verdanken, die Presseberichten zufolge etwa 35 Millionen Euro kostete. Etwa zwei Jahre nach dem Absturz konnte das Wrack der Airbus-Maschine in einer Tiefe von fast 4000 Metern im Atlantik gefunden werden – und damit auch die beiden Flugschreiber.

Schmerzlich für viele Hinterbliebene ist bis heute, dass viele Tote auf dem Meeresgrund zurück gelassen wurden. "Wir konnten nur die Passagiere bergen, die noch an ihren Sitzen angeschnallt waren", sagte der pensionierte Gendarmerie-Oberst Xavier Mulot im Prozess. "Die anderen mussten wir auf dem Meeresgrund lassen".

Bei dem Absturz starben auch 28 Deutsche. Ihre Angehörigen, die der 72 ums Leben gekommenen Franzosen, der 59 Brasilianer, die Familien von Flugkapitän Marc Dubois, der beiden Kopiloten David Robert und Pierre-Cedric Bonin, der Besatzung und aller anderen getöteten Passagiere haben mit dem Ende des Prozesses zwar einen Abschluss. Für viele Familien bleibt jedoch auch 14 Jahre nach der Katastrophe von Air-France-Flug 447 nur "Verzweiflung und Wut", wie ein Angehöriger nach dem Freispruch im April sagte. Manche Angehörige haben bis heute das Gefühl, dass es nicht allein die Piloten waren, die für die Katastrophe verantwortlich sind.

Quellen: "Frankfurter Rundschau", "Der Spiegel", "Die Zeit", "Der Standard", Opferverein der Hinterbliebenen

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