Andreas Hegny legt den Hebel um. Zischend fließt eine trübe, gelbe Flüssigkeit ins Glas. Der 27-Jährige hält es sich erst unter die Nase, riecht, guckt zufrieden und nimmt dann einen Schluck vom "Aidazwickel", das erste an Bord eines Schiffes gebraute Bier. Hegnys Lederschürze spannt ein wenig über dem wohlgeformten Bauch, die Füße in klobigen Arbeitsschuhen, die Haare gegelt, der Vollbart ordentlich gestutzt, ein charmanter Dialekt aus dem Odenwald - ein Prachtbild eines deutschen Braumeisters. Seit einigen Wochen ist Hegnys Arbeitsplatz die Brauerei an Bord der "Aida Blu", dem neuesten Schiff aus der Rostocker Kreuzfahrtflotte. Viele Jahre hat man an der Anlage getüftelt, dass sie auch bei Seegang funktionstüchtig ist.
Gerste, Hopfen, Hefe, Wasser - die Rohstoffe sind vorhanden. Dennoch kann Hegny seine Gäste nicht in die Kunst des Bierbrauens einführen; denn nur auf See darf gebraut werden. "Das hat zolltechnische Gründe", erklärt er. Doch die "Aida Blu" liegt ungewollt fest. Die geplante Fahrt für Reisebüromitarbeiter und Journalisten fällt aus - zu viel Eis auf der Elbe. In der Papenburger Meyer Werft gebaut, lief das 252 Meter lange Schiff am Freitag in den Hamburger Hafen ein. "Ab Cuxhaven kam uns Treibeis entgegen", erzählt Kapitän Friedhold Hoppert. Ab Brunsbüttel wurde das Eis massiv, die Schollen polterten gegen die Bordwand. Hoppert manövrierte betrübt die Elbe hinauf. Das schöne, neue Schiff! Der Lack musste erste Kratzer hinnehmen, das Anlegemanöver dauerte eineinhalb Stunden. Eisschollen schoben sich zwischen Schiff und Pier. Nein, für solches Winterwetter ist der Feriendampfer nicht gedacht, also blieb er im Hafen liegen anstatt einen Kurztörn auf der Nordsee zu fahren.
Knallfarben im Bademantel
"Ich glaube kaum, dass das jemanden stört", sagt Norbert Aust. Zusammen mit Corny Littmann entwickelt er in seiner Firma Seelive die Unterhaltungsshows und die Kinderanimation für die Aida-Schiffe. Aust hat nicht ganz Unrecht, die wenigsten Probepassagiere schienen etwas zu vermissen. Die Reederei aus Rostock hat ihre Tradition der kreischend bunten Farben an Wänden, skurrilen Muster auf Teppichen und leuchtenden Theken in ihrem Neubau fortgesetzt und das geliefert, was ein Kreuzfahrer braucht. Sieben Restaurants, die Buffets gut bestückt: Schnitzel, Hummer, Sushi, Lasagne, Kartoffelgratin, die ganze Bandbreite in solider Qualität. Zwölf Bars mit 267 Getränken auf der Karte. Massagen und Körperpeelings im Spa, das sich über drei Decks zieht, und erstmals auf einem Aida-Schiff gibt es direkt angrenzende Kabinen, so dass man nicht im Bademantel durch die Gänge schlurfen muss.
Abends die Shows im Theatrium, die eine Mischung aus Musical-, Tanz- und Akrobatiknummern sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffen sind es künstlerisch anspruchsvolle Inszenierungen. Und ins Brauhaus zu Andreas Hegny kann man direkt nach dem Frühstück gehen, bekommt eine Brotzeit mit Weißwurst, Brezel und frischem Bier serviert, dazu spielt eine Cover-Band Hits von Roxette und Michael Jackson.
Mehr Schiffe, mehr Passagiere und mehr Bier
Hegny und seine kupferfarbenen Bierkessel sind an Bord, um dem deutschen Kreuzfahrtgast das zu geben, was er sucht - urige Gemütlichkeit, egal ob auf dem Mittelmeer, in der Karibik oder vor der Küste Norwegens. Die Bar "Destille" und das Brauhaus auf Deck 10 sind neu für die Aida-Flotte. Sonst sind die Schiffe frei von Überraschungen und Veränderungen. Innovation ist jedoch eins der Lieblingswörter der Branche, schließlich will man jedes Jahr mehr Menschen für einen Urlaub auf dem Wasser begeistern. Seit einigen Jahren hält diese Wachstumskurve an. 414.000 Passagiere fuhren im vergangenen Jahr mit Aida-Schiffen, 23 Prozent mehr als 2008.
Gut eine Million Deutsche verbrachten 2009 ihren Urlaub auf dem Wasser, Tendenz steigend. Die Kapazitäten sind da: Elf neue Schiffe werden 2010 getauft. Um noch mehr Menschen für die Ferienseefahrt zu begeistern, werden die Taufen der Urlaubsdampfer spektakulär inszeniert, egal zu welcher Jahreszeit. "Im Sommer kann ja jeder taufen", sagt ein Aida-Sprecher, man nimmt die Schwierigkeiten mit Humor. Den Zeitpunkt der Fertigstellung hat die Werft mit ihrem Bauplan bestimmt, und je früher das Schiff in Dienst gestellt wird, desto eher kann es die Kosten von 352 Millionen Euro wieder einfahren.
Taufe auch bei Eisgang
Am Dienstag (9. Februar) wird am Bug der "Aida Blu" die obligatorische Champagnerflasche zerschellen. Designerin Jette Joop wird den Mechanismus auslösen und tausende Zuschauer sollen am Fischmarkt die halbstündige Zeremonie, Beginn 20 Uhr, erleben. Das Motto: Feuer und Eis. "Wir bauen an der Fischauktionshalle ein Winterdorf auf, veranstalten auch an Bord eine Schneeparty", so ein Reedereisprecher. Nicht, dass man schon bei Planungsbeginn mit dem harten Winter in Norddeutschland gerechnet hatte. "Wir fanden die Idee lustig, den Hamburgern ein Stück echten Winter zu bringen", sagt der Sprecher und grinst gequält. Schließlich hat der außergewöhnlich strenge Winter die Generalprobe vermasselt.
"Aber am Dienstag fahren wir wirklich", verspricht Kapitän Hoppert. Gleich nach der kurzen Taufzeremonie läuft das Schiff mit mehr als 2100 Gästen und 600 Mann Besatzung zur Jungfernfahrt aus, Ziel Mallorca. Dann wird auch Andreas Hegny wieder "Aidazwickel" brauen, bis zu 500 Liter am Tag.