Drei Zwischenfälle in vier Tagen: Mehrmals sind Flugzeuge der irischen Fluggesellschaft Ryanair in Spanien außerplanmäßig gelandet: Am Sonntag musste eine Boeing auf dem Weg zu den Kanaren in Madrid wegen technischer Probleme repariert werden. Am Tag zuvor war eine Maschine in Barcelona wegen eines Triebwerksschadens "zwischengelandet". Am vergangenen Donnerstag wurden durch Turbulenzen im Landeanflug auf Mallorca zwei Crew-Mitglieder und ein Passagier verletzt. Der Pilot leitete daraufhin eine Notlandung ein.
Die Zwischenfälle lassen die Frage aufkommen: Ist Ryanair eine sichere Airline? Tatsache ist, dass Medien in den letzten Wochen über jede Panne des Billigfliegers berichten. Betrachtet man einen längeren Zeitraum und befragt man einen Experten für Flugsicherheit, kommt man zu einem beruhigenden Ergebnis. Beim Flugunfallbüro Jacdec wird die Gesellschaft zu den 30 sichersten Fluglinien weltweit gezählt. "Die jüngsten Vorfälle von Ryanair stehen im krassen Widerspruch zu unserer Statistik", sagt Jan Richter von Jacdec zu stern.de. Seit der Gründung von Ryanair vor 30 Jahren sei im Flugbetrieb kein einziges Todesopfer zu beklagen.
Beweise, dass Ryanair eine unsichere Fluggesellschaft sei oder sich nicht an gesetzliche Bestimmung halte, gibt es für Jacdec nicht. Die knapp 300 Boeing-Flugzeuge von Ryanair haben ein geringes Durchschnittsalter und gelten als gut gewartet, da sie möglichst lange pro Tag in der Luft sein und Geld verdienen sollen.
Kleine Airports, kurze Pisten
Allerdings hatte Ryanair laut Jacdec einen Totalverlust: Im November 2008 geriet eine Boeing im Landeanflug auf Rom in einen Vogelschwarm, die Triebwerke verloren an Schubkraft. Bei der Notlandung setzte die Maschine so hart auf, dass ein Fahrwerk einknickte (siehe Foto). Niemand wurde ernsthaft verletzt. Aber die Summe aller Beschädigungen an der erst sieben Monate alten Boeing waren so groß, dass sich die Reparatur nicht lohnte und die Maschine verschrottet wurde.
Die dramatische Landung mit glücklichem Ausgang zeigt ein Dilemma: Ryanair startet überwiegend von kleinen Flughäfen, die über kürzere Pisten verfügen. So landet Ryanair in Rom nicht in Fiumicino, sondern auf dem kleinen Ciampino Airport mit einer nur halb so langen Piste. Kommt es bei einer vollbesetzten Maschine zu einem Startabbruch, verfügt ein Großflughafen mit längerer Startbahn über eine bessere Sicherheitsreserve.
Spaniens Nummer Eins am Himmel
In Spanien avancierte Ryanair 2012 zur Nummer Eins. Mehr als 20 Prozent aller in dem Land beförderten Flugpassagiere sind inzwischen Ryanair-Kunden. Nach Angaben der Zeitung "El Pais" flogen zwischen Januar und August diesen Jahres 24,7 Millionen Menschen mit der Airline - noch vor Vueling mit 14,1 Millionen und Iberia mit 13,9 Millionen Passagieren.
Die spanische Öffentlichkeit reagiert auch deshalb sensibel, weil Ende Juli drei Ryanair-Maschinen mit Ziel Madrid, die wegen eines Gewitters nach Valencia umgeleitet wurden, dort eine Notlandung einleiten mussten: Den Piloten drohte der Sprit auszugehen. Denn durch den Umweg erreichten die Kerosinvorräte das gesetzliche Minimum von Flugbenzin, das nach der Landung noch im Tank sein muss.
Psychologischer Faktor fliegt mit
Im Gegensatz zu den "Sicherheitslandungen" in Barcelona und Madrid am Wochenende, handelte es sich am 26. Juli 2012 um Notlandungen. Letztere ermöglichen eine bevorzugte Behandlung von der Flugsicherung, um zügig zu landen. Seitdem sieht sich Ryanair des Vorwurfs von Pilotenverbänden ausgesetzt, nur mit dem unbedingt erforderlichen Treibstoffvorrat zu fliegen. Angeblich werden bei Ryanair Listen mit den Namen von Piloten für den geringsten und höchsten Treibstoffverbrauch ausgehängt, berichtet die Pilotenvereinigung Cockpit (VC). Die Piloten werden entsprechend gelobt oder gerügt. "Ryanair bewegt sich an der Grenze des Legalen: Sie setzen die Piloten unter Druck, keine Extramenge Treibstoff mitzunehmen. Aber das Minimum an Kerosin reicht nur für den Idealfall", sagt Flugkapitän Jörg Handwerg vom VC zu stern.de.
Das spanische Verkehrsministerium hat Konsequenzen gezogen und von der EU mehr nationale Befugnisse bei der Kontrolle ausländischer Fluggesellschaften gefordert. Durch Kontakte mit dem EU-Verkehrskommissar Siim Kallas und der irischen Luftfahrtbehörde IAA sollen "binnen wenigen Wochen" die EU-Richtlinien in Sachen Luftfahrtsicherheit verbessert werden. Offen sind Details, ob auch die Kerosinreserven hochgesetzt werden sollen.
Ryanair-Chef Michael O'Leary schätzt die Lage komplett anders ein. Er spricht von einer "Hetzkampagne" in den spanischen Medien und kontert am Montag in der Online-Ausgabe von "El Pais": "Ob wir Verluste gehabt haben, seit all dies angefangen hat? Nein, wir haben sogar mehr Tickets verkauft."
Lieber eine Sicherheitslandung mehr
Jörg Handwerg spricht dagegen bei der Diskussion um den Resttreibstoff von einer Verharmlosung der Ryanair-Vorfälle. "Es ist peinlich, mit welchen Methoden Ryanair versucht, den Kopf aus der selbst angelegten Schlinge zu ziehen. Die Behauptung der internationale Ruf 'Mayday' bedeute keine Luftnotlage, wie O’Leary jüngst erklärte, ist lächerlich", so Handwerg letzte Woche.
Auch nach den jüngsten Zwischenfällen sieht Ryanair "absolut keine Probleme", so ein Sprecher am Montag. Er verkauft die ungeplanten Landungen als ein Zeichen, dass die Sicherheit für Ryanair oberste Priorität habe. Ähnlich sieht es auch Luftfahrt-Experte Cord Schellenberg. Für ihn ist es allemal besser, mit Problemen während des Fluges offen umzugehen, als sie zu vertuschen. "Eine Sicherheitslandung, die angekündigt ist und die von den Behörden nachverfolgt wird, ist eben auch eine wirklich sichere Landung."