Couchsurfing Komm auf mein Sofa!

Von Roland Brockmann
Mit einer Couch am Strand werden die wenigsten Gastgeber dienen können, aber wer sich mit einem simplen Schlafplatz zufrieden gibt, kann per Cousurfing gut und günstig übernachten
Mit einer Couch am Strand werden die wenigsten Gastgeber dienen können, aber wer sich mit einem simplen Schlafplatz zufrieden gibt, kann per Cousurfing gut und günstig übernachten
© Colourbox
Bei völlig unbekannten Leuten in fremden Städten umsonst übernachten? Und dazu noch Insidertipps und Stadtführungen bekommen? Ein Online-Netzwerk macht diese neue Form der Völkerverständigung möglich.

Kurz vor Kotor sollte ich aus dem Bus aussteigen. Da also stehe ich nun, am Straßenrand - gleich neben dem Asphalt glitzert das Meer von Montenegro, und irgendwo hier soll er wohnen: Vlatko, den ich noch nie gesehen habe, der mich aber trotzdem auf seiner Couch übernachten lassen will. Warum nur?

Vlatko ist auch kein Freund eines Freundes. Zwischen uns gibt es keinerlei Link - außer einer Onlineplattform, die Leute vernetzt, die irgendwo auf der Welt umsonst einen Schlafplatz bieten oder suchen: Leute wie Vlatko eben, und jetzt auch mich.

Alles, was ich über dem Mann weiß, ist, dass er sich für Musik, Fotografie, Reisen und seine Frau interessiert. Außerdem ist er etwa in meinem Alter. So jedenfalls stand es in seinem Onlineprofil im Internet-Netzwerk "Couchsurfing". Nicht allzu aufschlussreich, aber es ist ja nur für eine Nacht.

Ein Bett auf dem Balkan

Also tippe ich seine Nummer ins Handy und er dirigiert mich zweihundert Meter am Ufer entlang zurück. Dann sehe ich ihn, wie er mir vom Balkon seiner Wohnung aus zuwinkt. Und die besteht aus einem großen Zimmer mit Aussicht auf den größten Fjord des Mittelmeers. Das Ambiente wirkt mediterran. Vlatko lebt schließlich direkt an der Adria. Neben seinem selbstgebauten großen Bett unter der Dachschräge thront ein Schlagzeug. Rundum weiß getünchte Wände, ein Pinbord, die Küche offen im Raum. Obwohl wir uns nicht kennen, ist die Stimmung von Anfang an entspannt. Ziemlich schnell fühle ich mich, als würde ich einen Freund und nicht einen Fremden besuchen.

Irritierend sind höchsten seine beiden ziemlich großen Hunde, die auf der Couch dösen. War die nicht für mich gedacht? Ich setze mich erstmal auf den Balkon und blicke in die Abendsonne. Vlatko macht mir ein Sandwich und bringt ein kaltes Bier. Und dann reden wir einfach.

Grenzenlose Gastfreundschaft

"Durch den Balkankrieg und den Zusammenbruch Jugoslawiens hatte ich kaum die Chance, international zu reisen", erzählt er. Noch heute sei es schwierig, ein Visum für EU-Länder oder die USA zu bekommen. Man bräuchte jemanden der für einen bürgt, müsse jede Menge Formulare ausfüllen.

Über den Autor

Roland Brockmann, 46, war in über fünfzig Ländern unterwegs (von Algerien bis Zypern): meist abseits der touristischen Trampelpfade - auf dem harten Sattel von Fahrradtaxis oder im UN-Hubschrauber. Er schlief in Buschhütten und Kingsize-Betten, am Strand und in den Bergen. Nach zwei Jahren in Ostafrika lebt der gebürtige Hamburger heute als freier Journalist in Berlin. Aber immer wieder treibt es ihn fort, denn: "Die Heimat steckt in den eigenen Stiefeln."

Was macht ihn dann selbst so gastfreundlich? "Couchsurfing ist für mich eine Antwort auf meine persönliche Situation", sagt der Mann, der selbst nicht so leicht herum kommt. "So kommt jetzt die Welt zu mir. Seit 2006 waren schon viele nette Leute bei mir, alle brachten Geschichten mit aus den Ländern, in denen sie selbst waren." Und denen hat es bei Vlatko gut gefallen. Man muss nur auf sein Profil schauen, und die Kommentare seiner Gäste aus Dänemark, England, Frankreich, Kanada, Neuseeland usw. lesen.

Freunde für eine Nacht

"Du kannst im Apartment meiner Mutter, eine Etage tiefer, schlafen", sagt er jetzt und drückt mir vertrauensvoll einen Schlüssel in die Hand: "Die ist nur in der Hochsaison da." Wir bringen mein Gepäck runter, und fahren mit Vlatkos Auto in die Altstadt - die wahrscheinlich schönste an der montenegrinischen Küste. Am Kai davor liegen zwei Kreuzfahrtschiffe, Touristen strömen aus für einen Tagesbesuch. Was werden die vom Leben in Kotor verstehen, frage ich mich. Wahrscheinlich nur das, was die Reiseführerin über die Geschichte des Ortes erzählt.

Ich bin froh, mit Vlatko in dessen Stammcafe zu sitzen. Seine Freunde kommen dazu. Und auch wenn ich nur wenig verstehe, wenn die Jungs unter sich reden, empfinde ich mich doch für diese Nacht als Teil ihrer Welt. Es ist nett, wir sind Freunde für eine Nacht. Am nächsten Morgen stehe ich wieder am Straßenrand. Der Bus kommt und nimmt mich auf. Im nächsten Ort wartet schon die nächste Couch.

Luftmatratze oder Kingsizebett

Ein paar Monate später bekomme ich Besuch. Nicht von Vlatko, sondern von Sue Li und Nick aus Amsterdam. Nun bin ich der Gastgeber. Die beiden sind erfahrene Couchsurfer: Die Asiatin Sue Li und der Schweizer Nick haben sich in Neuseeland kennengelernt. In Berlin sind beide zum ersten Mal. Tagsüber zeige ich ihnen die Hauptstadt, abends grillen wir auf dem Balkon, tauschen uns aus über gemeinsame Reiseerfahrungen, bis auch Sue Li und Nick weiter müssen.

"Als Gemeinschaft bemühen wir uns, unseren Teil für eine bessere Welt beizutragen, indem wir unser Zuhause, unsere Herzen und unser Leben öffnen", so definiert sich das Netzwerk "Couchsurfing" selbst. Es ginge nicht nur darum, irgendwo auf der Welt umsonst zu übernachten, sondern weltweit Grenzen zu überwinden. Und das von Berlin bis Bilbao - in über 20.000 Städten und 220 Ländern. Klingt etwas programmatisch, allein: es funktioniert ganz praktisch. Man muss auch keine Übernachtung anbieten, um selbst eine zu finden. Gastfreundschaft kennt keine Bedingungen. Alles, was es braucht, sind Toleranz und ein wenig Flexibilität, denn manchmal entpuppt sich die Couch als Luftmatratze, manchmal aber auch als Kingsizebett. Probieren Sie es aus!

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